Porsche Carrera Cup
23.10.2011
Nick Tandy – Der neue Carrera Cup Meister im Porträt
Der Titel in Deutschlands schnellstem Markenpokal wiegt umso mehr, als die Saison 2011 von einer außergewöhnlichen Leistungsdichte im Starterfeld geprägt war. „Für mich ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen“, sagte der neue Champion. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens, in die Porsche-Markenpokale zu gehen. Nie zuvor war ich im Motorsport erfolgreicher.“ Es ist erst das zweite Mal in der 22-jährigen Historie des schnellsten deutschen Markenpokals, dass der Meister keinen deutschen Pass besitzt – und das erste Mal, dass ein Brite Champion wird.
Für den 26-jährigen Tandy bedeutet der Titelgewinn in Hockenheim auch eine stille Genugtuung. Denn hier im Motodrom hatte er beim Finale im vergangenen Jahr durch einen Unfall in der ersten Rennrunde seine Chancen auf die Meisterschaft eingebüßt. Trotz einer überragenden Premierensaison mit fünf Saisonsiegen in neun Rennen musste der 2010er Shootingstar mit der Vizemeisterschaft vorlieb nehmen, während Nicolas Armindo (Frankreich, Hermes Attempto Racing) den Titel feiern konnte. Und auch im internationalen Porsche Mobil 1 Supercup setzte sich am Ende Routinier René Rast durch, Tandy wurde auch dort Vizemeister.
In die neue Saison ging er als Favorit – und wurde mit dem Auftaktsieg den Erwartungen gerecht. „Ich fuhr nach dem Rennen von Hockenheim weg und war mir sicher: Dieses Jahr wirst Du Meister“, gibt er offen zu. „Das war nicht arrogant, ich war mir einfach sicher, dass ich so stark bin.“ Stattdessen gab es eine Achterbahnfahrt. Schon beim zweiten Rennen in Zandvoort ging zunächst alles schief. Tandy überschlug sich im freien Training und bekam auch noch eine Strafe aufgebrummt, weil er unter gelber Flagge zu schnell gefahren war. Der Überflieger des Vorjahres musste von ganz hinten starten – fuhr dann aber laut eigener Aussage „das Rennen meines Lebens“. Auf einer Strecke, die nicht fürs Überholen taugt, überholte der Brite Mann um Mann. Am Ende stand Tandy als Dritter überglücklich auf dem Podium. „Mein Auto passte perfekt und ich habe keinen Fehler gemacht“, bilanziert er. „Nahezu alle Gegner zu überholen, war der Wahnsinn. Daher fühlte sich der dritte Platz besser an als mancher Sieg, den ich feiern konnte.“ Das britische Fachblatt Autosport titelt schon: „Ist das der neue DTM-Star?“
In strömenden Regen in Spielberg gewann Jaap van Lagen, Tandy baut als Zweiter die Tabellenführung aus. Dritter auf dem Lausitzring, aber weiterhin an der Spitze der Gesamtwertung. „Die Meisterschaft ist viel härter geworden als im letzten Jahr“, analysiert er. „Der Grund dafür ist aber, dass die Leistungsdichte noch einmal enorm zugelegt hat. Außerdem hatte ich ja 2010 gelernt, dass man auch mit fünf Saisonsiegen nicht automatisch Meister wird.“
Dann kommt der Tiefpunkt. Als Spitzenreiter reist Tandy zum Saisonhöhepunkt in die Eifel, wo auf der Kombination aus Grand-Prix-Kurs und Nordschleife der Porsche Carrera World Cup ausgetragen wird. Übermotiviert knallt Tandy nach zehn Minuten ins Aus und rutscht in der Meisterschaftstabelle auf den dritten Platz ab, Sean Edwards übernimmt die Führung.
Mit einem falsch abgestimmten Elfer, den er kaum auf der Strecke halten kann, schwimmt er auf dem regennassen Norisring nur auf Rang fünf. Verglimmt das Sternchen Tandy? Edwards feiert derweil als Regenkönig seinen ersten Carrera-Cup-Sieg. Beim zweiten Eifellauf, diesmal auf dem Grand-Prix-Kurs, wendet sich das Blatt. Am Porsche 911 GT3 Cup des führenden Edwards platzt in der letzten Rennrunde ein Reifen, Tandy, der ihm wie ein Schatten gefolgt ist, erbt den Sieg und setzt sich erneut an die Tabellenspitze. „Ich hatte mein Pech schon in diesem Jahr“, sagt er fast trotzig. „Nun war mal das Glück auf meiner Seite.“
Mit einem blitzsauberen Sieg baut der Brite beim vorletzten Saisonlauf in Oschersleben seine Führung weiter aus. Rivale Edwards wird im strömenden Regen Fünfter. So kommt in diesem Jahr Nick Tandy mit zwölf Punkten Vorsprung zum Finale, setzt in beiden freien Trainingssitzungen die Bestzeit – als Kampfansage an seinen Landsmann. Er holt die Pole-Position und sichert sich mit dem dritten Rang den ersehnten Meistertitel.
Die Saison 2011 ist im Grund ein Spiegelbild der Karriere des neuen Champions. Diese verlief nicht geradlinig. Und sie ist stark vom britischen Motorsport geprägt. „Ich bin kein typisches Kart-Kid“, sagt er. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Joe beginnt er als Zehnjähriger in so genannten Ministocks – mit einer Art Rammschutz ausgestattete Mini Cooper – auf kleinen Ovalen seine Fahrreflexe zu schulen. „Wir hatten vor allem einen Heidenspaß“, erinnert er sich. „Aber nach vier Jahren hat man uns nahegelegt, die Serie zu verlassen. Wir waren wohl ein bisschen wild.“ Dann gewinnt Tandy den Wettbewerb einer Formel-Nachwuchsklasse und steigt in die britische Formel-Ford-Meisterschaft auf, die auf der Insel Kultstatus genießt. 2007 gewinnt Tandy das Weltfinale der Serie, erhält ein Cockpit in der nationalen Formel 3 auf und schwimmt auf der Welle des Erfolges, als ihn ein Schicksalsschlag schwer trifft. Sein Bruder, der auch das Formel-3-Team führte, kommt im Mai 2009 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Und Tandys Karriere steckt in einer Sackgasse.
Vielleicht wäre das große Ausnahmetalent in Vergessenheit geraten, wenn es denn Franz Konrad nicht gäbe. Der langjährige Teamchef des erfolgreichen Porsche-Rennstalls gilt als Talentspäher. Er gibt dem Briten im September 2009 die Chance, ein Carrera-Cup-Rennen zu bestreiten. Tandy kommt nach Dijon mit der Erfahrung eines Gaststarts im britischen Cup, holt im Regen Startplatz zwei und wird im Rennen Zweiter hinter Jeroen Bleekemolen, der für das Konrad-Team den Supercup bestreitet. „Ich hätte damals gewinnen können“, sagt Tandy. „Aber gegenüber Jeroen wollte ich natürlich keine Attacke reiten.“
Sein Dank an Franz Konrad ist so echt wie der ganze Kerl. „Ohne Franz wäre ich heute weg vom Fenster und würde in meinem Beruf als Autoglaser und mit irgendeinem Zusatzjob im Motorsport mein Geld verdienen. Ich bin ihm sehr dankbar.“ Seinen Beruf hat der Brite übrigens erst 2011 an den Nagel gehängt. Noch im vergangenen Jahr arbeitete er in der rennfreien Zeit als Autoglaser. Und weil er es nun mal kann, half er auch beim Team, wenn ein Windschutzscheibenwechsel anstand.
Nick Tandy über…
… den Wettbewerb im Carrera Cup Deutschland:
„Der Carrera Cup ist neben dem Supercup sicher der am besten und am stärksten besetzte nationale Porsche-Cup. In diesem Jahr war der Wettbewerb enorm hart. Vielleicht waren wir, auch als Team, im letzten Jahr zu gut. Verglichen damit, haben wir in diesem Jahr, wenn mal nicht alles wirklich perfekt lief, einfach blöd ausgesehen. Aber es gab in diesem Jahr im Carrera Cup sechs verschiedene Sieger in den ersten sechs Rennen, das sagt eigentlich alles über die Leistungsdichte aus.“
… den Unfall beim Porsche World Cup am Nürburgring:
„Der Tiefpunkt des Jahres. Mein erster Gedanke, nachdem ich da im Wald neben meinem havarierten Auto stand, war: Was für eine blöde Idee, zum Nürburgring gekommen zu sein. Dann habe ich mich selbst beschimpft: Was bist Du für ein Idiot! Ich hatte durch den Unfall sowohl die Tabellenführung im Carrera Cup als auch die im Supercup verloren, dazu sehr viel Preisgeld verspielt. Und das hätten wir dringend gebraucht, denn unsere Saisonfinanzierung war mit spitzem Bleistift gerechnet. Wir haben uns finanziell immer gerade so von Wochenende zu Wochenende gehangelt.“
…seinen letztjährigen Rivalen Nicolas Armindo:
„Am meisten hat mich in diesem Jahr beeindruckt, dass Nicolas als amtierender Champion mit so unglaublich viel Pech völlig abgestürzt ist. Ich habe mir mal versucht vorzustellen, es wäre mir so ergangen – ein schrecklicher Gedanke!“
… seine Träume:
„Ich bin überzeugt, dass die Chefs der Serien oberhalb von Carrera- und Supercup auf die Porsche-Markenpokale schauen und ich bin mir sicher, dass sie wissen, dass hier sehr gute Arbeit geleistet wird. Vielleicht wird ja mal jemand auf mich aufmerksam. Mein ganz großer Traum wäre, einmal NASCAR zu fahren. Schon als kleiner Bub am Fernsehen habe ich von den Ovalrennen in den USA geträumt.“
… seine langjährige Lebensgefährtin Brittany McKenzie:
„Ohne Britanny wäre ich nichts. Wir kennen uns seit meinem siebten Lebensjahr und sind seit knapp sechs Jahren ein Paar. Ohne sie würde ich wahrscheinlich an keiner Rennstrecke ankommen, keine Flüge erwischen und im LKW statt im Hotel schlafen. Brittany organisiert nahezu mein komplettes sportliches Leben.“
… sein Grundprinzip Wettbewerb:
„Ich liebe Herausforderungen, und das überträgt sich bei mir auch auf meine Hobbys. Ich spiele zum Beispiel gerne Dart oder Golf, und ich spiele beides dann besonders gerne, wenn es um einen Wettbewerb geht und ich Gegner besiegen muss. Hobbys oder Sportarten ohne wirklichen Wettbewerb wären nichts für mich. Ich bin immer ehrgeizig. Wenn mir beim Golfen eine 82er-Runde gelingt, bin ich zufrieden.“