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Formel 1
13.04.2012

Technik-Feature: Zwischen Vollgas und Verschmutzung

Der Schauplatz für das dritte Rennen zur Formel 1-Weltmeisteschaft 2012 ist in jeder Beziehung außergewöhnlich. Obwohl Design und Layout des Shanghai International Circuit in einigen Bereichen Ähnlichkeiten zu den beiden ersten Saisonrennen aufweisen, unterscheidet sich der Große Preis von China doch deutlich vom vorangegangenen Rennen in Malaysia.

Die größte Herausforderung besteht in der langen Geraden der Rennstrecke vor den Toren von Shanghai – mit 1,3 Kilometern die längste der gesamten Saison. Rémi Taffin, Leiter des Renault Sport F1 Einsatzteams, erklärt: „Auf dieser Gegengerade laufen die Renault RS27 etwa 17 bis 18 Sekunden lang unter Volllast. Die lange Highspeed-Kurve, die auf diese Gerade führt, e-rinnert sehr an die Parabolica in Monza. Hier stehen die Piloten lange voll auf dem Gas und beschleunigen ihre Boliden auf rund 320 km/h.

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Allerdings gibt es auf dem Shanghai International Circuit auch noch andere Vollgas-Passagen, wie zum Beispiel die Start-Ziel-Gerade und einige kürze-re Zwischenstücke. Der Vollgasanteil liegt hier bei 53 Prozent – pro Runde laufen die V8-Motoren also 50 Sekunden lang unter Volllast. Im vergange-nen Jahr fuhr Sebastian Vettel mit seinem Red Bull-Renault hier in 1.33,706 Minuten auf die Pole Position.“

Die Motoren sind beim Großen Preis von China besonderen Belastungen ausgesetzt – insbesondere im letzten Sektor. „Diese besondere Streckencharakteristik mit dem ständigen Wechsel zwischen hoher und mittlerer Beanspruchung hat natürlich auch einen direkten Einfluss auf die Triebwerke“, erläutert Taffin. „Während der langen Vollgaspassagen wird jedes einzelne Teil im Motor höchsten Belastungen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Kursen wie etwa in Melbourne – wo nach den Geraden auch einigen langsamen Kurven folgen – gönnt der Shanghai International Circuit dem Motor kaum Verschnaufpausen. Daher müssen wir sicher stellen, dass die beweglichen Teile unter Volllast keinen zu hohen Belastungen ausgesetzt sind. Aus diesem Grund stimmen wir die Motorsteuerung etwas anders ab als auf anderen Kursen.

Besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang den Kolben, denn sie sind der höchsten Belastung ausgesetzt. Deshalb passen wir verschie-dene Parameter, allen voran den Zündzeitpunkt, für die Geraden oder einzelne Abschnitte entsprechend an, um den Motor zu schonen. Diese Mappings kommen natürlich vor allem im Rennen zum Tragen, im Qualifying nutzen die Fahrer selbstverständlich die volle Power unseres RS27.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Temperatur. Die richtige Öltemperatur sorgt für eine optimale Schmierung aller Teile. Hier kommt uns das Klima hier in China entgegen, denn zu dieser Jahreszeit ist es in Shanghai nicht zu heiß. Aus Motorensicht gibt es beim Großen Preis von China also ein relativ geringes Risiko.“

Ein unvermeidlicher Risikofaktor ist jedoch die Luftqualität in Jiading, dem Stadtbezirk von Shanghai, wo die Rennstrecke liegt. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich zahlreiche Fabriken. Die Ingenieure von Renault Sport F1 müssen diese Variable natürlich mit berücksichtigen.

Rémi Taffin erklärt: „Beim letzten Rennen in Malaysia war es tropisch heiß mit hoher Luftfeuchtigkeit. Im Gegensatz dazu ist es in China eher kalt, aber die Luft ist sehr schmutzig. Ein Grund hierfür sind die Fabriken, die Beton produzieren. Dadurch kann es zu einer hohen Konzentration von Ze-mentstaub in der Luft kommen.

Wir haben unsere Motoren an diese Herausforderung angepasst. Dank seines günstigen Verdichtungsverhältnisses ist der RS27 ideal für alle Stre-cken im Rennkalender abgestimmt. Noch vor fünf oder sechs Jahren hätte ein hoher Staubanteil in der Luft zu Problemen geführt und die Haltbarkeit hätte gelitten. Heute profitieren wir von innovativen Filtern, die den Motor vor diesem Schmutz schützen. Daher können wir auch solchen Rennen ganz entspannt entgegen sehen.“

Dennoch wartet der Große Preis von China mit einer einzigartigen Herausforderung auf. Neben den speziellen Wetterbedingungen und der Luftverschmutzung sorgt auch das Streckenlayout für ein Alleinstellungsmerkmal. Daher das Finden des richtigen Setups ein komplexer Prozess.

„Das Reglement erlaubt uns den Wechsel der Ansaugtrichter. Dadurch können wir unseren Achtzylinder auf die jeweilige Lufttemperatur anpassen. Gleichzeitig wirken sich die unterschiedlichen Ansaugtrichter auch auf die Höchstleistung und das maximale Drehmoment aus. In Monaco kommt es vor allem auf das Drehmoment an, während die Höchstleistung eine untergeordnete Rolle spielt. Die Streckencharakteristik des Shanghai International Circuit ist jedoch eine ganz spezielle Herausforderung. Denn auf den Geraden benötigen wir maximale Höchstleistung wie in Monza, während es im ersten Streckenabschnitt vor allem auf ein hohes Drehmoment ankommt, damit der Fahrer optimal durch die langsamen Kurven kommt. Es ist wirklich ein ganz spezieller Rennkurs … Von Turn 10 bis 1 ähnelt er sehr Monza – eine echte Power-Strecke. Der Rest erinnert eher an Monaco oder Ungarn – hier geht es um maximales Drehmoment. Dieser Mix und die unberechenbaren Wetterbedingungen führen dazu, dass wir das passende Setup wirklich erst vor Ort bestimmen können. Eine wirklich interessante Woche.“
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