Formel 1
07.06.2013
Circuit Gilles Villeneuve – Drei entscheidende Passagen
Für Renault ist der Asphalt auf der Île Notre-Dame ein geschichtsträchtiges Pflaster: Hier gelang der Kombination Williams-Renault 1989 der erste gemeinsame Sieg mit dem legendären V10-Saugmotor. 1993 und 1996 gewannen Alain Prost und Damon Hill für den britisch-französischen Rennstall, 2006 sicherte Fernando Alonso dem Renault F1 Team in Montreal mit dem RS26-V8 den ersten Platz. Prost, Hill und Alonso wurden im Jahr ihres Kanada-Sieges mit Renault jeweils Weltmeister …
Start-Ziel-Gerade bis Turn 1
Auf dem kurzen Vollgasstück bis zur ersten Kurve erreichen die Formel 1-Boliden Geschwindigkeiten von mehr als 300 km/h. Vor der anschließenden Linkskurve schalten die Fahrer bis in den dritten Gang herunter. Diese wird mit rund 120 km/h durchfahren und führt direkt in eine L-förmige Rechts. In diesem Streckenabschnitt muss der Motor sehr sanft auf Gaspedalbefehle ansprechen, denn hier läuft der RS27 für rund fünf Sekunden bei etwa 11.000 Umdrehungen. In keinem anderen Sektor des Circuit Gilles Villeneuve arbeiten die Triebwerke über einen derart langen Zeitraum in einem so niedrigen Drehzahl-Fenster.
Haarnadelkurve
Vor der Haarnadelkurve bremsen die Fahrer ihre Autos auf 58 km/h zusammen. Danach heißt es dann Vollgas für die 1.046 Meter lange „Droit du Casino“-Gerade, die zu Turn 13 und der berühmt-berüchtigen „Wall of Champions“ führt. Die harten Anbremszonen vor der Haarnadel und der letzten Schikane vor der Start-Ziel-Linie erfordern eine wirksame Motorbremse. Gleichzeitig kann hier das KERS (Kinetic Energy Recovery System) durch die Rückgewinnung von Bremsenergie wieder aufgeladen werden.
Die Ingenieure programmieren das Motorenmanagement so, dass der RS27-V8 beim Herausbeschleunigen aus der Haarnadelkurve ein sehr direktes Ansprechverhalten an den Tag legt und die Höchstgeschwindigkeit erst gegen Ende der 1.064 Meter langen Geraden erreicht wird. Die jeweilige Windrichtung und -geschwindigkeit können auf dieser Strecke die Getriebeabstufung beeinflussen. Ein falsches Set-up hat große Nachteile beim Topspeed auf den Geraden zur Folge. Bei Gegenwind wählen die Ingenieure eine kürzere, bei Rückenwind hingegen eine längere Getriebeabstufung. Ein wichtiger Faktor ist auch der Kraftstoffverbrauch: Bei Gegenwind benötigen die Boliden länger, um die Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Die Motoren verbrauchen in Folge des-sen mehr Benzin.
Die „Wall of Champions“
Vor der Haarnadelkurve bis zum Bremspunkt von Turn 13 – dem Eingang der Schikane vor Start und Ziel – beschleunigen die Fahrer im Qualifying auf mehr als 320 km/h. Ausgangs der Schikane wartet die berühmt-berüchtigte „Wall of Champions“, an der über die Jahre bereits einige Formel 1-Weltmeister ihre Boliden zerstört haben. Beim Anbremsen und Einlenken in die Schikane ist Stabilität im Fahrwerk oberstes Gebot. Zum Verzögern setzen die Fahrer die gesamte Kraft des Bremssystems und die maximale Motorbremse ein. Sowohl die Kraftstoff- und Ölversorgung als auch die beweglichen Teile im Motor werden dadurch extrem beansprucht. Sobald ein Fahrer sauber in die Schikane eingelenkt hat, geht er wieder aufs Gas, um auf die Zielgerade hinaus zu beschleunigen. Pedalweg und Drehmomentverlauf müssen so kalibriert sein, dass er exakt so viel Leistung abrufen kann, wie er benötigt. Wenn der Motor zu stark anschiebt, geht’s ab in die Weltmeister-Wand. Zuwenig Power – oder zu später Leistungseinsatz – bedeutet, dass auf der folgenden Geraden Topspeed fehlt.
Der Grand Prix von Kanada aus der Sicht des Motoren-Ingenieurs
Rémi Taffin, Leiter des Renault Sport F1 Einsatzteams: „Nach Monaco, dem langsamsten Kurs der Saison, treffen wir in Kanada jetzt auf die Strecke mit der kürzesten Rundenzeit des Jahres. Eine Runde auf dem Circuit Gilles Villeneuve dauert im Schnitt gerade mal 75 Sekunden. Erstens ist die Strecke mit knapp über vier Kilometern relativ kurz, zweitens besteht sie zu großen Teilen aus schnellen Geraden. Wegen dieser Stop-and-Go-Charakteristik kommt es in Montreal besonders auf gute Beschleunigung und hohe Topspeeds an.
Die Geraden enden in engen Kurven, meist sogar Kehren. Die Autos bremsen an diesen Stellen auf weniger als 60 km/h herunter. Folglich zählen neben Spitzenleistung auch eine effektive Motorbremse, ein berechenbares Ansprechverhalten beim Einlenken und gute Traktion am Kurvenausgang zu den wichtigen Eigenschaften. Hinzu kommt: Wegen der beiden Haarnadelkurven und der langsamen Schikane werden die beweglichen Teile im Motor drei Mal pro Runde erst durch das brutale Bremsen belastet und anschließend durch das harte Beschleunigen extrem gefordert. Wegen dieser Charakteristik galt Montreal lange als ,engine breaker‘, als Motorenkiller.
Wegen der ständigen Abfolge von Bremsen und Beschleunigen gehen die Fahrer hier mit der – neben Australien und Abu Dhabi – schwersten Kraftstoffladung des Jahres ins Rennen. Wobei die Spritmenge am Start immer auch von der geplanten Strategie und von der Witterung abhängt. Dass das Wetter hier extrem umschlagen kann, haben wir beim Regen-Grand Prix 2011 gespürt. Auch für dieses Jahr gehen wir von wechselhafter Witterung aus.“