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FIA WEC
21.07.2016

Porsche LMP1-Renner: So funktioniert die Hybrid-Technik

Am Wochenende hat der Le-Mans-Prototyp Porsche 919 Hybrid seinen einzigen Auftritt des Jahres in Deutschland: Beim Sechsstunden-Rennen auf dem Nürburgring, dem vierten Lauf zur FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft 2016, geht es dem WM-Führenden vor allem um Punkte für die Titelverteidigung. Zentrales Thema ist aber auch die Technologie des Sportwagens der Zukunft.

Mit dem 919 Hybrid hat Porsche im Renntempo ein neues Technologiefeld erschlossen. Bei der 2015 präsentierten Konzeptstudie für einen rein elektrisch angetriebenen Straßensportwagen, den „Mission E“, setzen die Entwickler auf die 800-Volt-Technik aus dem Rennprototyp. Porsche hat bei der Konzeption des bereits zweimaligen Le-Mans-Siegers ausgereizt, was machbar war. Das gilt vor allem für das Antriebskonzept. Es besteht aus einem Zweiliter-Vierzylinder-Turbo-Benziner, dem effizientesten Verbrennungsmotor, den Porsche bislang gebaut hat, und zwei unterschiedlichen Energierückgewinnungssystemen.

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Beim Bremsen wird an der Vorderachse kinetische in elektrische Energie umgewandelt. Im zweigeteilten Abgastrakt sitzt neben dem Turbolader noch eine zweite Turbine, die überschüssige Energie in elektrische Energie umwandelt. Der Beitrag der Bremsenergie liegt bei 60 Prozent, jener aus dem Abgas bei 40 Prozent. Der gewonnene elektrische Strom wird in einer Lithium-Ionen-Batterie zwischengespeichert und speist bei Bedarf einen Elektromotor. Bedarf heißt: Der Fahrer will beschleunigen und ruft die Energie per Knopfdruck ab. Die Leistung des Verbrennungsmotors liegt nach der jüngsten Reglementänderung bei knapp 500 PS (368 kW), die Leistung der E-Maschine bei deutlich über 400 PS (294 kW).

Der Einsatz und das Zusammenspiel dieser beiden Quellen erfordern eine ausgeklügelte Strategie. In jeder Bremsphase sammelt der Speicher Energie ein – es wird rekuperiert. Auf dem 5,148 Kilometer langen Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings geschieht das 17 Mal pro Runde, also vor jeder Kurve. Die Stärke der Rekuperation hängt dabei von der Heftigkeit des Manövers ab, sprich: von der Geschwindigkeit, aus der die Fahrer anbremsen und letztlich auch davon, wie eng die folgende Kurve ist. Bis zum Scheitelpunkt jeder Kurve wird gebremst und rekuperiert, dann beschleunigt der Fahrer wieder. In diesem Moment will man so viel Energie wie möglich absetzen. Dafür tritt der Fahrer zum einen aufs Gaspedal und ruft damit Kraftstoffenergie ab, zum anderen „boostet“ er elektrische Energie aus dem Speicher.

Während der Verbrennungsmotor die Hinterachse antreibt, ist der Elektromotor für die Vorderachse zuständig. Der 919 prescht also ohne Traktionsverluste mit Allradantrieb aus der Kurve – und sammelt unterdessen bereits wieder Energie ein, weil auf den Geraden die zusätzliche Turbine im Abgastrakt fleißig ist. Bei konstant hohen Motordrehzahlen schnellt der Druck im Abgassystem nach oben und treibt die direkt mit einem elektrischen Generator verbundene Zusatzturbine an. Allerdings sind beide Energiequellen per Reglement limitiert: Mehr als 1,8 Liter Sprit pro Runde darf der Fahrer nicht einsetzen und auch nicht mehr als 1,3 Kilowattstunden (4,68 Megajoule) elektrischen Strom. Er muss sorgfältig haushalten, damit er am Ende der Runde exakt diese Energie verbraucht hat – nicht mehr und nicht weniger. Verbraucht er mehr, wird er bestraft. Ist es weniger, verliert er Performance. Er muss zum exakt richtigen Zeitpunkt aufhören, zu boosten und im richtigen Moment vom Gas gehen.

Umgerechnet auf die 13,629 Kilometer lange Strecke von Le Mans, sie ist der Maßstab für das Reglement, beträgt die zur Verfügung stehende elektrische Energie 2,22 Kilowattstunden. Das entspricht acht Megajoule und damit der höchsten Energieklasse, die das Reglement vorsieht. Porsche war 2015 der erste und einzige Hersteller, der sich so weit vorwagte. 2016 tritt auch Toyota in der Acht-Megajoule-Klasse an. Audi beschränkt sich auf sechs Megajoule. Das WEC-Reglement gleicht diese Unterschiede nahezu aus.

Für die Konzeptwahl des Porsche 919 Hybrid wurden die einzelnen Alternativen eingehend betrachtet. Dass man die Bremsenergie von der Vorderachse nutzen würde, war sofort klar – fette Energiebeute auf teilweise bereits erschlossenem Terrain, gepaart mit massiver Weiterentwicklung. Als zweites System kamen eine Bremsenergierückgewinnung an der Hinterachse oder eben die Abgasenergierückgewinnung in Frage. Zwei Aspekte sprachen für die Abgaslösung: Erstens das Gewicht und zweitens die Effizienz.

Bei der Bremsenergierückgewinnung muss das System die Energie innerhalb sehr kurzer Zeit rekuperieren, also mit sehr viel Leistung umgehen können, und das geht zu Lasten des Gewichts. Die Beschleunigungsphasen hingegen sind viel länger als die Bremsphasen, es wird also über längere Zeit rekuperiert, und das macht das System leichter. Außerdem hat der 919 durch den Verbrenner ja bereits einen Antrieb auf der Hinterachse. Noch mehr Leistung hinten, hätte mehr Schlupf erzeugt. Kapituliert die Hinterachse vor zu viel Leistung und kann diese nicht in Vortrieb umsetzen, entsteht ineffizienter Schlupf. Außerdem strapaziert dies die Reifen über Gebühr.

Die wahrscheinlich mutigste Grundlagenentscheidung: Für das Hybridsystem des 919 setzte Porsche auf 800 Volt. Die Spannungslage anzusiedeln, ist eine fundamentale Entscheidung beim Elektroantrieb. Sie beeinflusst alles – Batteriedesign, Elektronikdesign, E-Maschinen-Design und Lade-Technologie. Porsche ist dabei so weit gegangen, wie es irgend möglich war.

Es war schwierig, für diese hohe Spannung Bauteile zu finden, vor allem ein geeignetes Speichermedium. Schwungradspeicher, Superkondensatoren oder Batterie? Porsche entschied sich für eine flüssigkeitsgekühlte Lithium-Ionen-Batterie. Sie verfügt über hunderte einzelner Zellen, jede eingeschlossen in einer eigenen zylindrischen Metallkapsel – sieben Zentimeter hoch und 1,8 Zentimeter im Durchmesser.

Bei einem Straßen- wie bei einem Rennwagen muss abgewogen werden zwischen Leistungsdichte und Energiedichte. Je höher die Leistungsdichte einer Zelle, desto schneller kann sie geladen werden und Energie wieder abgeben. Der andere Parameter, die Energiedichte, bestimmt die Menge der Energie, die gespeichert werden kann. Im Rennbetrieb muss die Zelle – bildlich gesprochen – eine riesige Öffnung haben. Denn sobald der Fahrer auf die Bremse tritt, muss schlagartig eine gewaltige Energiemenge hinein, und wenn er boostet, muss sie genauso schnell wieder hinaus. Ein alltagstauglicher Vergleich: Hätte die leere Lithium-Ionen-Batterie eines Smartphones die Leistungsdichte der 919-Batterie, wäre sie nach deutlich weniger als einer Sekunde Ladezeit komplett voll. Der Nachteil: Ein kurzer Anruf – und der ganze Saft wäre wieder weg. Damit das Smartphone tagelang durchhält, steht nämlich die Energiedichte im Vordergrund, also die Speicherkapazität.

Übersetzt auf ein Elektroauto im Alltagsbetrieb bedeutet Speicherkapazität Reichweite. In dem Punkt sind die Bedürfnisse für den Rennwagen und ein Elektroauto für die Straße also verschieden, aber Porsche ist beim 919 in neue Regionen des Hybridmanagements vorgestoßen. Der 919 ist das Versuchslabor für das Spannungsniveau von zukünftigen Hybridsystemen.

Aus den im LMP1-Projekt erarbeiteten Grundlagen, etwa für die Kühlung des Energiespeichers (Batterie) und der E-Maschine, für die Verbindungstechnik im extremen Hochvoltbereich sowie das Batteriemanagement und die Systemauslegung, gewannen die Kollegen in der Serienentwicklung wichtige Erkenntnisse für die viertürige Konzeptstudie Mission E mit 800-Volt-Technik. Aus der Studie entsteht bis zum Ende des Jahrzehnts ein Serienprodukt – der erste rein elektrisch angetriebene Porsche.