Fritz Enzinger, Leiter LMP1: „Das war eine absolut fantastische Runde – eine herausragende fahrerische Leistung von Neel und das Ergebnis großartiger Ingenieursarbeit. Der heutige Streckenrekord beweist eindrucksvoll die ultimative Performance des innovativsten Rennwagens seiner Zeit.“
Teamchef Andreas Seidl: „Das ist ein hart erarbeiteter weiterer Erfolg der LMP-Mannschaft und ein stolzer Tag für die Ingenieure. Dazu kann man Neel und dem gesamten Team nur gratulieren. Es haben alle sechs 2017er LMP1-Fahrer an diesem Projekt mitgewirkt. Wir wollten aufzeigen, was der Porsche 919 Hybrid kann, wenn wir die vom Reglement der Langstrecken-Weltmeisterschaft vorgegebenen Restriktionen lockern.“
Porsche gewann mit dem 919 Hybrid von 2015 bis 2017 dreimal hintereinander das 24-Stunden-Rennen in Le Mans sowie die Weltmeistertitel für Hersteller und Fahrer in der FIA World Endurance Championship (WEC).
Neel Jani: „Der 919 Evo ist brutal beeindruckend. Er ist definitiv das schnellste Auto, das ich je gefahren bin. Das Grip-Niveau ist für mich eine völlig neue Dimension, das konnte ich mir vorher so nicht vorstellen. Die Abläufe auf einer einzelnen Runde mit dem 919 Evo sind derartig schnell, dass der Anspruch an die Reaktionsschnelligkeit noch einmal ein ganz anderer ist als ich ihn aus der WEC kenne. Wir sind nicht nur schneller als die F1-Pole-Postion von 2017. Die Runde war zwölf Sekunden schneller als unsere WEC-Pole aus dem vergangen Jahr! Es waren drei sehr intensive Tage in Spa. Heute wusste ich gleich auf der ersten Runde am Morgen, dass das Auto super liegt. Die Renningenieure haben bei der Abstimmung tolle Arbeit geleistet, und der Reifen von Michelin ist eine Sensation. Vielen Dank an Porsche für diese Erfahrung.“
Ohne Fesseln auf Rekordfahrt
Das technische Reglement der FIA für die WEC und den Klassiker in Le Mans sorgte erfolgreich für ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen den konzeptionell sehr unterschiedlichen und hybridisierten Klasse-1-Le-Mans-Prototypen von Audi, Porsche und Toyota. Zwangsläufig blieb dadurch jedoch die Frage unbeantwortet, wozu der Porsche 919 Hybrid ohne die strengen Limitierungen imstande wäre. Stephen Mitas, Leitender Renningenieur LMP1, hat das Evo-Projekt betreut. „Für uns wurde eine Art Ingenieurstraum wahr“, gibt der Australier zu. „Nachdem wir das Auto vier Jahre lang entwickelt, verbessert und eingesetzt haben, besteht eine sehr enge Beziehung zu diesem Rennwagen. Wir wussten immer: Egal, wie erfolgreich der 919 Hybrid war – seine ganzen Fähigkeiten konnte er niemals ganz zeigen. Tatsächlich erschließt selbst die Evo-Version nicht das volle technische Potenzial. Diesmal waren wir nicht durch ein Reglement limitiert, aber durch Ressourcen. Es ist sehr befriedigend, dass die umgesetzten Modifikationen ausreichten, um den Formel-1-Rekord zu knacken.“
Basis für die Vorbereitung des Rekordwagens war der siegreiche 2017er Rennwagen. Hinzu kamen Entwicklungen, die bereits für die WEC 2018 stattgefunden hatten, aber nach dem Ausstieg aus der Langstrecken-Weltmeisterschaft Ende 2017 brachlagen sowie spezifische aerodynamische Modifikationen.
Für den ‚Porsche 919 Hybrid Evo' blieb die komplette Hardware des Antriebsstrangs unangetastet. Der 919 wird angetrieben von einem kompakten Zweiliter-V4-Turbobenziner in Kombination mit zwei verschiedenen Energierückgewinnungssystemen – Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie. Während der Verbrenner die Hinterachse antreibt, wirkt beim Boosten ein E-Motor an der Vorderachse und sorgt für Allradantrieb beim Beschleunigen. Gleichzeitig sammelt der 919 unter Last wieder Energie aus dem Abgastrakt ein, die sonst ungenutzt entweichen würde. Als Zwischenspeicher für den aus Brems- und Abgasenergie gewonnenen elektrischen Strom dient eine flüssigkeitsgekühlte Lithium-Ionen-Batterie.
Das Effizienzreglement der WEC limitierte die Energie aus Kraftstoff pro Runde mittels Begrenzung der Durchflussmenge durch einen ‚Fuel Flow Meter'. In Spa durfte der Porsche 919 Hybrid in seiner letzten Saison 1,784 Kilogramm/2,464 Liter Benzin pro Runde einsetzen. Damit leistete der Vierzylinder-Verbrenner rund 500 PS. Frei von dieser Restriktion, ausgestattet mit entsprechenden Software-Updates, aber unter Verwendung des üblichen Rennkraftstoffs (E20 mit 20 Prozent Bioethanol-Anteil), bringt er es in der Evo-Variante auf 720 PS.
Die erlaubte einsetzbare Energiemenge aus den beiden Rückgewinnungssystemen betrug beim WM-Lauf in Spa 2017 exakt 6,37 Megajoule pro Runde. Damit blieben die Systeme deutlich unter ihrem Potenzial. Auf seiner Rekordrunde stand Jani jetzt der volle Boost von 8,49 Megajoule zur Verfügung – die Leistungsausbeute wuchs um zehn Prozent von 400 auf 440 PS.
Auch aerodynamisch befreiten die Ingenieure die Evo-Version des 919 von einigen Fesseln des Reglements. Der neue und größere Front-Diffusor balanciert den mächtigeren Heckflügel aus; beide sind mit aktiv gesteuerten ‚Drag Reduction Systemen' (DRS) ausgestattet. Zur Reduzierung des Luftwiderstands trimmt das hydraulisch betätigte System am vorderen Diffusor die Hinterkante. Am Heckflügel öffnet es den Raum zwischen der Hauptplatte und dem oberen Flügelelement. Unter dem Fahrzeug wurden die Luftleitbleche (aus Kohlefaser gefertigte ‚Turning Vanes’) und die Form des Unterbodens optimiert. Außerdem steigern feste seitliche Schürzen die aerodynamische Effizienz. In Summe resultieren die Aerodynamik-Maßnahmen in 53 Prozent mehr Abtrieb und eine Effizienzsteigerung um 66 Prozent (im Vergleich zum WEC-Qualifying in Spa 2017).
Zur weiteren Performance-Verbesserung erhielt der superschnelle Evo ein Vierrad-Brake-by-Wire-System für zusätzliche Gierwinkel-Kontrolle. Außerdem wurde die Servounterstützung der Lenkung an die höheren Kräfte angepasst. Zusätzlich wurden die Radträger vorne und hinten verstärkt.
Das Leergewicht sank um 39 Kilogramm gegenüber der Rennversion auf 849 Kilogramm. Dafür wurde entfernt, was für eine einzelne Runde bei besten Bedingungen entbehrlich ist: Klimaanlange, Scheibenwischer, einige Sensoren, die Elektronikeinheit der Regelwächter, die Lichtanlage und die pneumatische Wagenhebervorrichtung.
Bei Porsches langjährigem Reifenpartner Michelin stieß die Arbeit mit einem Auto, das mehr Abtrieb erzeugt als ein Formel-1-Rennwagen, sofort auf großes Interesse. Mit dem Ziel, bei gleicher Reifendimension (31/71-18) das Grip-Niveau deutlich anzuheben und keinerlei Kompromisse hinsichtlich der Sicherheit einzugehen, hat Michelin neue Reifenmischungen entwickelt.