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Sonstiges
21.08.2021

Homestory Neel Jani: Wenn das Schicksal auf zwei Racing-Herzen trifft

Im schweizerischen Dorf Bellmund nahe des Bieler Sees herrscht die typische morgendliche Stille. Die Vögel zwitschern, die rund 1.500 Einwohner des malerischen Ortes im Kanton Bern bereiten sich auf die Aufgaben des Tages vor. Porsche Werksfahrer Neel Jani tritt vor die Tür seines teilrestaurierten Bauernhauses und durchbricht die Idylle. Mit einem breiten Grinsen dreht der 37-Jährige den Zündschlüssel und haucht dem rund 60 Jahre alten 2,6-Liter-Diesel lautes Leben ein. „Das ist gewissermaßen ein Erbstück der ganz besonderen Art“, erklärt der Schweizer, der 2021 im Porsche 911 RSR in der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft und in Le Mans antritt. „Dieser Porsche Traktor ‚Modell Super Export' gehörte zu dem Hof, den wir von einem engen Schulfreund gekauft haben. Es ist ein schönes historisches Spielzeug, an dem auch mein Sohn noch viel Freude haben wird.“

Jani lebt auf dem großzügigen Gelände nur einen Steinwurf entfernt von seinem Heimatort Jens gemeinsam mit Ehefrau Lauren und dem bald drei Jahre alten Sohn Maverick. Der Bieler See liegt in direkter Nachbarschaft, es gibt viele landwirtschaftlich genutzte Flächen und hohen Freizeitwert nahe der Schweizer Alpen. „Ich kann hier alles machen, was mir am Herzen liegt: Skilanglauf, Radfahren, mit der Familie draußen sein. Und mein Sohn kann auf dem Land hinter dem Hof schon frühzeitig erste Erfahrungen auf dem Traktor oder auf einem Motocross-Bike sammeln“, frohlockt der heimatverbundene Sohn eines indischen Vaters und einer Mutter aus der Schweiz.

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Jani hat sich in der Jugend ausprobiert. Entsprechend seiner väterlichen Familie, die als Kosmopoliten indischer Herkunft mittlerweile unter anderem in den USA, Neuseeland und Großbritannien lebt, zog auch der Schweizer in die große, weite Welt hinaus. Als Red-Bull-Junior verschlägt es ihn für eine kurze Zeit auf die britische Insel, während der US-Rennkarriere lebt er im Haus seines Onkels in Manhattan Beach – übrigens der Heimat von Porsche Werksfahrerkollege Patrick Long. „Das liegt direkt neben Santa Monica und Malibu. Als junger Mensch schmeckt das Leben dort sehr süß. Mein Fitnesstrainer Helmut Fink war auch dabei. Wir hatten viel Spaß. Es war wie Spring Break in Dauerschleife! Okay, etwas übertrieben, aber es ging in die Richtung“, lacht der Schweizer und fügt an: „Für einen gewissen Zeitraum war das ein ganz großes Vergnügen, aber irgendwann langt es dann auch und der Fokus musste natürlich schon auf die Rennen gelegt werden.“

Jani zieht es nach nur einem Jahr an der US-Pazifikküste wieder zurück zu den Eidgenossen. „Ich brauche solche Spaßtempel wie Los Angeles oder Monaco gar nicht. Da bin ich vielleicht der Gegenentwurf zu vielen Rennfahrern, die glamouröses Umfeld lieben. Mir gibt die Beschaulichkeit meines kleinen Dorfes einfach viel mehr“, so Jani. Diese Bodenständigkeit wird an seinem Wohnsitz mehr als deutlich. Das Haus unauffällig, der Dienstwagen von Porsche in der Garage versteckt, die Wohnung nicht mit teuren Designermöbeln ausgestattet, sondern im schlichten Outfit eines schwedischen Möbelhandels. „So mögen es Lauren und ich. Keine Show, ganz normales Leben.“

Die gemeinsame Geschichte des sympathischen und stets freundlich-höflichen Ehepaares aus Bellmund ist eine ganz besondere. Samstag, der 1. Juli 2006: Neel Jani ist gerade 22 Jahre alt und nach zahlreichen Erfolgen in Nachwuchsserien als Test- und Ersatzfahrer in der Formel 1 angekommen. Der schweizerische Rennpilot hat am Vortag in Diensten von Toro Rosso das Freitagstraining zum Großen Preis der USA in Indianapolis bestritten. „Wenn das Training erledigt war, musste ich immer noch das Qualifying am Samstag abwarten. Sobald die beiden Stammpiloten dieses absolviert hatten, stand für mich immer fest, dass ich im Rennen nicht zum Einsatz kommen kann. Daher durfte ich an den Samstagabenden etwas länger unterwegs sein“, schildert der damalige Pilot aus dem Red-Bull-Nachwuchskader. Sein Arbeitgeber war bekannt dafür, vor dem Renntag oftmals spektakuläre Parties zu organisieren. „Und eine solche gab es eben auch 2006 in Indianapolis“, erinnert sich Jani.

„Am Eingang wurde mein Ausweis kontrolliert, weil ich nachweisen musste, dass ich mindestens 21 bin und somit überhaupt hinein darf. Den Blick in meine Papiere warf eine hübsche 19-jährige Amerikanerin namens Lauren Boyd. Ich war jung, frech und unbedarft – habe deswegen auch einen Spruch gemacht, an den ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Aber das Eis war gebrochen.“ Lauren, damals zu jung, um Neel Jani auf die Party begleiten zu dürfen, hielt mit dem frechen Rennfahrer aus der Schweiz Kontakt. „Eine Beziehung hat sich im Folgejahr entwickelt“, sagt der Le-Mans-Gesamtsieger von 2016. „Ich fuhr für das Team PKV in der damaligen ChampCar-Serie. Diese Mannschaft hatte ihren Sitz in Indianapolis. Und wer stammt von dort? Wessen Vater war dort im Rennumfeld tätig? Genau: Lauren! Das war Schicksal“, beschreibt der stolze Familienvater.

Die Geschichte der Beziehung des Ehepaares Jani steht stellvertretend für zahlreiche Ereignisse im Leben des erfahrenen Rennpiloten. Das Schicksal, das Karma spielt eine wichtige Rolle. „Ich bin davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung bei all meinen Handlungen gibt“, meint Jani. „Ich bin charakterlich durch und durch ein Schweizer, aber habe natürlich auch gewisse Eigenheiten von meinem Vater geerbt. Eine eher philosophische Betrachtung des Lebens ist wohl das, was meine indischen Wurzeln in mir widerspiegelt. Ich versuche mir – wie wahrscheinlich sehr viele andere Menschen auch – zu erklären, warum wir Menschen so sind, wie wir sind. Warum sind wir hier? Warum nehmen wir diesen oder jenen Weg? Ich glaube, so etwas ist Schicksal. Ich folge keiner Religion, sondern habe mir meine Erklärungen für das Leben selbst geschaffen. Und Karma spielt dabei eine große Rolle.“

Diesen Ansatz sieht Jani auch bei der Betrachtung seiner motorsportlichen Karriere bestätigt. Beispiel Le Mans 2016. „Das Rennen hatten wir eigentlich verloren. Aber besondere Umstände direkt vor dem Fallen der Zielflagge haben uns plötzlich den Sieg ermöglicht. Das war ein Geschenk in kitschiger Hollywood-Manier“, beschreibt Jani, der sich in jenem Jahr das Cockpit des siegreichen Porsche 919 Hybrid mit Marc Lieb und Romain Dumas teilte. Das Trio feierte im gleichen Jahr den Gewinn des WM-Titels, der Höhepunkt einer Karriere im Langstreckensport. „Und was passiert im Folgejahr? Wir führen in Le Mans sehr deutlich, müssen quasi nur noch ins Ziel rollen, da bleibt unser Auto plötzlich stehen mit einem Schaden, der zuvor in vier Jahren nie aufgetreten ist. Das Positive und das Negative gleicht sich irgendwie aus. Du bekommst immer die Quittung. Vielleicht nicht sofort. Vielleicht erst in einem anderen Leben. Daran glaube ich. Das mag alles etwas seltsam klingen, aber warum sollte das nicht so sein?“