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Extreme E
26.08.2022

Jutta Kleinschmidt: „Die Extreme E gibt vielen jungen Fahrerinnen eine Chance“

Jutta Kleinschmidt prägte den Motorsport wie keine Frau vor ihr: Über Jahre erarbeitete sie sich in der von Männern dominierten Branche einen festen Platz und krönte ihre Leistungen 2001 mit dem Sieg bei der legendären Rallye Dakar. Als erste und bis heute einzige Frau konnte sie den Rallye-Raid-Wettbewerb für sich entscheiden. Am 29. August feiert Kleinschmidt ihren 60. Geburtstag – und ist nach wie vor hochmotiviert unterwegs. Im Interview spricht sie über ihr Engagement im Motorsport und ihre aktuelle Herausforderung mit dem Team ABT CUPRA XE in der Extreme E.
Interview mit Rallye-Dakar-Siegerin Jutta Kleinschmidt zu ihrem 60. Geburtstag
Als eine der ersten Frauen im Motorsport hattest du mit Widerständen und Vorurteilen zu kämpfen. Von deinem Ziel hast du dich aber nie abbringen lassen – wie hast du das geschafft?
„Der wichtigste Punkt ist, sich sein Selbstbewusstsein zu bewahren – gerade wenn man in irgendeiner Art und Weise ein Pionier ist. Die Leute glauben immer, etwas sei nicht möglich – bis es jemand gemacht hat. Aber diese Selbstzweifel sind natürlich da, wenn man von allen Seiten dasselbe gesagt bekommt. Doch bei mir war es so, dass ich nicht auf die anderen gehört habe, wenn ich das Gefühl hatte, dass ich das schon hinkriege. Ich habe gesagt, ich will das probieren und wenn ich nicht gut genug bin, dann ist es halt so.”
Mit welcher Motivation bist du bei deiner ersten Rallye Dakar angetreten – hast du dir große Chancen ausgerechnet?
„Für mich war die Rallye Dakar erst mal nur ein großes Abenteuer. Ich habe mein Motorrad gesattelt und bin der Rallye gewissermaßen als blinder Passagier gefolgt, erst mal wollte ich einfach nur ankommen. Als ich das geschafft hatte, wollte ich die Rallye auch in Wertung fahren. Dann unter die ersten zehn kommen, dann unter die ersten fünf, dann aufs Treppchen – und dann wollte ich gewinnen.”
Dein Erstversuch ließ nicht eben darauf hoffen, dass du die Rallye später einmal gewinnen würdest, oder?
„Nicht einmal ansatzweise: Nach einer Etappe wurde mir Diesel statt Benzin in den Tank gefüllt und das Rennen war für mich gelaufen. Das war natürlich eine herbe Enttäuschung.”
Wie hast du es geschafft, dich im – bis heute – männerdominierten Motorsport durchzusetzen?
„Mir hat natürlich wahnsinnig geholfen, dass ich als Physikingenieurin Autos entwickelt habe, mitreden und durch mein Wissen überzeugen konnte. Dadurch wurde ich ernster genommen. Wirklich geändert hat sich aber erst etwas, nachdem ich die „Dakar“ gewonnen hatte. Bis dahin hatte ich fast 20 Jahre zu kämpfen.”
Was kannst du Mädchen und Frauen mitgeben, damit sie Mut haben und an sich und ihre Träume glauben?
„Du musst in dich selbst hineinhorchen – was will ich, was interessiert mich? Wenn dir jemand sagt, das kannst du nicht, das hat noch niemand geschafft und Männer sind halt einfach besser – dann musst du es ausprobieren. Man muss an sich glauben. Die Jungs wollten früher nie mit mir Fußball spielen, weil sie dachten, ich sei zu schlecht. Ich habe gesagt, lasst mich halt mal mitspielen – und wenn ich zu schlecht bin, dann könnt ihr mich ja wieder rausschmeißen. Am Ende waren sie froh, mich im Team zu haben. Natürlich muss man viel trainieren und braucht Durchhaltevermögen, man darf nicht gleich aufgeben. Ich sage: Man hat erst verloren, wenn man es nicht noch mal probiert hat.”
Im Cockpit der Extreme E herrscht Gleichberechtigung – bringt das Frauen im Motorsport nach vorn?
„Was mir an der Extreme E so gut gefällt, ist, dass sie vielen jungen Fahrerinnen eine Chance gibt. Die Jungs sind alle Vollprofis, in jedem Team sind Weltmeister. Von den Frauen gibt es davon leider noch nicht so viele. Aber in den zwei Jahren, in denen es die Serie gibt, kann man schon sehen, wie sich die Frauen entwickelt haben. Die Jungs können ja ständig irgendwo fahren, ein Nasser Al-Attiyah sitzt praktisch jedes Wochenende im Rennauto. Aber viele Teams schauen jetzt, dass sie die Mädels auch woanders fahren lassen – und es ist gigantisch, wie gut sie in dieser kurzen Zeit geworden sind.”
Sind gemischte Teams möglicherweise die besseren Teams?
„Die gemischten Teams sind eine super Sache. In anderen Serien fährt man zwar auch mit Männern im gleichen Team, aber eben in zwei Autos, also gegeneinander. Dann will jeder erst mal für sich gewinnen und verrät dem anderen möglichst wenig, um nicht einen Vorteil zu verlieren. In der Extreme E ist es genau andersrum: Wenn hier einer etwas weiß, wie man irgendwo noch etwas rausholt, dann wird das kommuniziert. Das ist schon beim Streckenablaufen und beim Training so: Man tauscht Ideen aus – du probierst das, ich probiere das, und dann schauen wir, was besser funktioniert. Man fährt mit demselben Auto, mit demselben Material dieselbe Runde und kann dann die Daten vergleichen. Man versucht gemeinsam, etwas besser zu machen: Fahrer und Fahrerin müssen eng zusammenarbeiten, nur dann können sie Erfolg haben. Und es gibt Stärken, die Männer haben, und Stärken, die Frauen haben, das ist einfach so. Dieses Zusammenspiel kann beiden helfen.”
Wie unterscheidet sich die Extreme E von deinen Cross-Country-Erfahrungen?
Das Einzige, was gleich ist: Es ist offroad. Aber es ist komplett anders. Die Rennen sind wahnsinnig kurz, man fährt zweimal am Tag für fünf Minuten. Im Cross Country bekommt man morgens das Roadbook und fährt los – du musst die Strecke finden. In der Extreme E kennt man die Strecke ganz genau und kann in jeder Ecke um jeden Zentimeter kämpfen. Das ist für mich eine komplett neue Erfahrung.
Hattest du vor deinem Einstieg in die Extreme E für ABT CUPRA XE Vorurteile gegenüber der Elektromobilität, insbesondere im Motorsport?
„Als Ingenieurin liebe ich neue Technologien und ich habe mich schon sehr früh für die E-Mobilität interessiert. Als ich dann das erste Mal eines der ersten E-Serienautos fahren konnte, war ich begeistert. Die Formel E fand ich schon spannend, aber als ich von der Extreme E gehört habe, war ich fasziniert: Eine Serie für Offroad-Elektrofahrzeuge, das ist ja der Knaller. Wo doch immer alle gesagt haben, offroad – niemals, die extremen Bedingungen, das Wasser, die Überschläge, da platzen die Batterien und verbrennen …”
Der klassische Motorsport mit seinen Verbrennern gilt bei vielen als nicht mehr zeitgemäß, denn der „Rennzirkus“ ist nicht eben klimaschonend. Kann E-Antriebstechnik den Motorsport retten?
„Absolut. Der Motorsport muss in diese Richtung, mit dem Verbrennungsmotor wird er nicht überleben. Vielleicht mit E-Fuel, aber auf alle Fälle muss es umweltfreundlich werden. Da gibt es für mich keinen anderen Weg. Der Motorsport war ja auch immer Vorreiter von neuen Technologien und Entwicklungen. Viele Sachen, die wir im Motorsport eingesetzt und getestet haben, wurden damit serienfähig gemacht.”
Wo siehst du die Chancen und Vorteile von E-Autos – und wo hakt es noch?
„Ich fahre privat nur noch E-Auto – und ich möchte nicht mehr wechseln. Es hat eine tolle Beschleunigung und liegt gut auf der Straße. Die Reichweite ist mittlerweile völlig okay, Rekuperation ist eine super Technik. Auch die Wartung ist easy, ein einfacher E-Motor besteht aus circa 25 Teilen, ein simpler Verbrennungsmotor dagegen aus locker 800 bis 1.000 Teilen. Deshalb glaube ich auch, dass sich der Elektroantrieb durchsetzen wird – es muss nicht zwingend ausschließlich voll batterieelektrisch sein. Es gibt mittlerweile weitere Technologien, um den Elektromotor anzutreiben.”
Mit deinem Engagement in der Extreme E setzt du dich zugleich auch für Umwelt- und Klimaschutz ein – wie funktioniert das?
„Das Legacy-Programm der Extreme E unterstützt jedes Mal ein Umweltprojekt in dem Land, in dem das Rennen stattfindet. Wir Fahrer schauen uns das vor Ort an und sind auch eingebunden, indem wir zum Beispiel Bäume pflanzen. Das macht viel Spaß und bringt auch die Fahrer alle zusammen, das ist wie ein Teambuilding. Es wird Aufmerksamkeit für das Projekt geschaffen, das von der Extreme E weitergeführt und unterstützt wird.”
Gab es für dich einen Moment, in dem du dachtest: Es ist höchste Zeit, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen?
„Für mich persönlich war der Besuch in Grönland besonders beeindruckend. Die Gletscherschmelze, klar, man weiß das, man kennt die Zahlen. Aber zu sehen, wie die Gletscher dort einfach wegschmelzen, das Wasser als reißender Fluss vom Gletscher strömt – das ist noch mal etwas ganz anderes. Das motiviert dann dazu, das weiterzuerzählen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.”
Was kommt für dich nach der Extreme E – welche Herausforderung im Motorsport würde dich noch reizen?
„Ich würde wahnsinnig gern mal ein Rennen auf dem Mond fahren (lacht). Man hat da ja wesentlich weniger Anziehungskraft und kann megaweit und megaweich springen. Wahrscheinlich muss ich noch ein bisschen warten, aber das fände ich total cool.”