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Sportwagen Allgemein
11.12.2024

Wie der Rennsport neue Maßstäbe in Technik und Inklusion setzt

Seit zwei Jahren fährt Tim Horrell für W&S Motorsport in einem Porsche 718 Cayman GT4 RS Clubsport, der in Kooperation mit der PARAVAN GmbH speziell auf seine Bedürfnisse angepasst wurde. Der US-Amerikaner ist seit einem Autounfall mit 21 Jahren von der Hüfte abwärts gelähmt. Doch das hinderte ihn nicht daran, Rennfahrer zu werden.

„Mein Unfall hatte nichts mit Motorsport zu tun, aber ich hatte schon immer ein Interesse daran“, sagt Horrell, der in der Nähe von Miami lebt. „Ich mochte die Geschwindigkeit und war fasziniert davon, aber ich habe das lange vor mir hergeschoben. Ich habe mit dem Motorsport erst sehr spät angefangen, während ein Großteil meiner Konkurrenten hier deutlich eher dran war.“

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Nach mehreren Jahren in amerikanischen Rennserien wagte er 2023 den Sprung über den großen Teich und trat erstmals im GTC Race an. „In Europa ist das Wettbewerbsniveau im Vergleich zu den USA viel höher“, erklärt er den Schritt nach Europa. „Hier gibt es viele tolle Strecken, auf denen ich schon immer fahren wollte. Außerdem ist das Rennfahren in Europa und Deutschland erschwinglicher als im Amerika.“

Doch wie kann Horrell das Fahrzeug trotz Querschnittslähmung bewegen? „Ich kann den Porsche Cayman mit einer Handsteuerung fahren, die aus einem Gashebel an der Vorderseite des Lenkrads und einer mechanischen Bremse besteht, die ich rechts neben dem Lenkrad betätige“, so Horrell.

Konstante Weiterentwicklung des Systems im GT4-Porsche

Vor der Saison 2024 wurde das Setup des Fahrzeugs mit den Erfahrungen, die Horrell in der Vorsaison gesammelt hat in Zusammenarbeit von W&S Motorsport und PARAVAN überarbeitet. Die Fahrzeugpioniere von der Schwäbischen Alb, die sich auf Anpassungen von Fahrzeugen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen spezialisiert haben, hatten den Porsche 2023 gemeinsam mit dem Porsche-Rennstall auf die Rennstrecke gebracht.

Für das Team von Patrick Wagner und Daniel Schellhaas war das Projekt eine neue Herausforderung. „Wir sind durch Tims Anfrage auf das Thema inklusiver Motorsport aufmerksam geworden“, sagt Teamchef Daniel Schellhaas. „Für uns war es völlig neu, aber durch den Kontakt zum PARAVAN-Team und die gemeinsamen Steer-by-Wire Projekte hatten wir bereits einen Einblick, wie die Fahrzeuge für den Straßenverkehr umgebaut werden und wie Personen mit Handicap damit zurechtkommen, auch auf der Rennstrecke, wie zum Beispiel Janis McDavid.“

Auch wenn W&S Motorsport mit dem Projekt Neuland betreten hat, wollte man die Herausforderung annehmen. „Wir haben uns bei W&S Motorsport schon immer zahlreichen Herausforderungen gestellt. Sei es damals bei einem Kundenprojekt mit Biofaser-Teilen oder dem alternativen Treibstoff, woran wir zu Beginn unserer Motorsportzeit 2016 gearbeitet haben“, erinnert sich Schellhaas. „Oder das Projekt 2020, wo wir als erstes Rennteam weltweit ohne Lenksäule das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring erfolgreich bestritten haben. Unser Anspruch ist es schon immer, etwas anderes zu machen und etwas Neuartiges zu entwickeln. Für mich gehört die Entwicklung und Erprobung neuer innovativer Technologien auf der Rennstrecke einfach zu zukunftsfähigem Motorsport.“

Horrell arbeitet hart an Fitness und im Simulator

Als Tim Horrell den W&S Motorsport Teamchef im Winter 2022 kontaktierte und über eine mögliche Zusammenarbeit sprach war man sich schnell einig, das Projekt gemeinsam anzugehen. Seit Beginn hat man sich zwei Ziele gesetzt: die Weiterentwicklung des Systems, um den Porsche zu steuern und die persönliche Weiterentwicklung Horrells als Rennfahrer.

„Mein Ziel ist es, dass ich im Motorsport möglichst weit komme und dabei so kompetitiv wie möglich bin. Natürlich habe ich deutlich später angefangen als viele meiner Konkurrenten, aber ich denke, dass ich auch einige Vorteile haben könnte! Zum Beispiel bei meinem Training und meiner Physis, denn ich gehe sechsmal die Woche ins Fitnessstudio! Dazu bin ich viel im Simulator und ich fahre viel Kart - ich gebe alles, damit ich auf dem Niveau der Konkurrenz fahre“, gibt Horrell einen Einblick in sein Trainingsprogramm. „Das ist eine große Herausforderung, aber ich liebe es!“

Die Zusammenarbeit mit Tim Horrell ist genauso wie mit anderen Rennfahrern, wie Schellhaas verrät: „Wir versuchen ihn in seiner Motorsportkarriere zu unterstützen und weiterzubringen, um sich weiterzuentwickeln. Er nimmt Erfahrung aus den Workshops und der W&S Motorsport Akademie mit. Es gibt keinen Unterschied, er ist Teil unseres Teams wie alle anderen Fahrer auch, darunter zum Beispiel auch Finn Zulauf, erster GTC-Race Förderpilot und dieses Jahr ADAC GT4 Germany Champion. Wir sehen in Tim ein großes Talent und seine Leistung verdient großen Respekt, wenn man überlegt, wie spät er mit Motorsport angefangen hat und unter welchen Umständen er das Auto fahren muss. Wir sind über die Kooperation mit Tim sehr, sehr glücklich und hoffen, dass wir noch lange mit ihm zusammenarbeiten werden.“

Die zweite Saison im GTC Race verlief für Tim Horrell, der zusammen mit W&S Motorsport Fahrer Hendrik Still als Coach einige Läufe bestritt, mit Höhen und Tiefen. „Die Saison 2024 war voller neuer Erfahrungen auf Strecken wie Spa, auf denen ich schon immer mal fahren wollte“, fasst der 34-Jährige zusammen. „Leider hatten wir in der Saison immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen, was die Saison etwas frustrierend machte. Dennoch versuche ich, positiv zu bleiben und hoffe, dass wir eine Lösung finden, um nächstes Jahr wieder in die Spur zu kommen.“

„Ich freue mich auf jeden Fall auf meine dritte Saison mit W&S Motorsport“, blickt Horrell voraus. „Wenn wir eine Lösung finden und das Problem mit der Drosselklappe beheben können, werde ich in der GT4 Winter Series fahren. Ich habe dann noch andere Pläne und Ideen für die kommende Saison.“

Motorsport im Wandel

Für W&S Motorsport ist die Entwicklung neuer Technologien ebenso ein wichtiger Bestandteil in der Firmen-Philosophie wie die Weiterbildung der Fahrer. „Als wir mit Motorsport angefangen haben und ich als Mechaniker 2006 in der VLN geschraubt habe, war es normal, dass man die Autos selbst gebaut, entwickelt und Entwicklung für Hersteller mitgemacht hat“, erklärt Schellhaas. „Das ist unser Ursprung und wir hatten damals erste Erfolge mit unserem Gruppe-H-BMW, der war auch ein Eigenbau war. Die Projekte in der AT-Klasse und mit Schaeffler Paravan waren wichtige Meilensteine für uns.“

Der Teamchef bedauert es, dass sich der Motorsport in den vergangenen Jahren verändert hat. „Ich finde es sehr schade, dass sich die Rennserien durch Homologation so verschlossen haben, dass man den Weg nicht mehr so einfach aufmachen kann. Es wäre wünschenswert, dass bei den Motorsportbehörden ein Umdenken stattfindet. Wir haben verschiedene Sponsoren und Partner, die gerne ihre Produkte testen würden. Sei es eine einfache Felge, Karosserieteile oder auch wenn man an das Steer-by-Wire-System denkt. All das ist kein Vorteil im Wettbewerb, aber kann in vielen Klassen und Rennserien nicht eingesetzt werden aufgrund des Reglements. Das verschließt den Zugang von Automobilzulieferern und Automobilherstellern.“

Sponsoren könnten nicht nur werbliche Vorteile erlangen, es könnten auch Synergien zwischen den verschiedenen Abteilungen innerhalb eines Konzerns entstehen. „Die Synergien können aber nicht geschlossen werden, weil es im Motorsport aktuell nur dieses klassische Werbung-Event-Thema gibt. Das finde ich persönlich sehr schade und hoffe, dass es in Zukunft im hohen Wettbewerb die Türen geöffnet werden, um die Entwicklung voranzutreiben“, schließt er ab.

W&S Motorsport zählt zu den Top-Teams im internationalen Motorsport und ist auf den GT4-Sport sowie Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife spezialisiert. 2024 war das bislang erfolgreichste Jahr: Der Rennstall gewann alle vier Meistertitel der ADAC GT4 Germany. In der Nürburgring Langstrecken-Serie sicherte sich das Team vorzeitig den Cup3-Titel mit dem CMS Porsche 718 Cayman GT4 Clubsport #962 und holte zudem den Vizemeistertitel in der Cup2-Klasse mit dem AVIA racing Porsche 992 GT3 Cup #120. In der GT4 European Series gewannen Max Kronberg und Finn Zulauf die Fahrer- und Team-Wertung in der Pro-Am-Klasse.
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