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Formel 1
30.08.2012

Renault Sport F1: Vorschau auf den Belgien-Grand Prix

Der Große Preis von Belgien gilt als eine der härtesten Herausforderungen für Rennmotoren überhaupt. Die Triebwerke der aktuellen V8-Generation laufen auf dem belgischen Traditionskurs mehr als 70 Prozent der Runde mit voll geöffneten Drosselklappen. Das Streckenlayout verlangt vor allem nach maximaler Spitzenleistung und hohen Endgeschwindigkeiten.

Nur in Monza müssen die Aggregate noch länger unter Volllast arbeiten als auf der 7,004 Kilometer langen Strecke. Sechs Mal waren Motoren von Renault auf der „Ardennen-Achterbahn“ erfolgreich: 1983 gewann Alain Prost im Renault RE40, beim nächsten Spa-Gastspiel 1985 siegte Ayrton Senna im Lotus-Renault 97T, beide mit dem berühmten V6-Turbomotor im Heck.

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1993 und 1994 triumphierte jeweils Damon Hill mit Williams-Renault, 1995 zeigte Michael Schumacher im Benetton-Renault seinen unvergessenen Sturmlauf von Startplatz 16 aufs Siegertreppchen. 2011 legten Sebastian Vettel und Red Bull Racing mit einem Sieg in Spa den Grundstein für ihre erfolgreiche Titelverteidigung.

Der Große Preis von Belgien im Überblick

Über die gesamte Runde betrachtet, läuft der Renault RS27-V8 rund 43 Sekunden lang unter Volllast. Diese Zeit teilt sich in etwa zu gleichen Teilen auf die beiden Vollgasstücke auf – die wegen einiger Richtungswechsel nicht unbedingt als Geraden zu bezeichnen sind. Die erste rund 23 Sekunden lange Vollgas-Passage erstreckt sich von der Spitzkehre La Source (Turn1) durch die Senke Eau-Rouge bis ans Ende der Kemmel-Geraden bei der Schikane Les Combes. Der zweite Highspeed-Abschnitt reicht vom Ausgang der Stavelot-Kurve durch den Linksbogen Blanchimont bis zur Bus-Stop-Schikane. Hier läuft der RS27 ziemlich genau 20 Sekunden lang bei maximaler Drehzahl.

Die Beschleunigungsphasen in den unteren Gängen mitgerechnet, stehen die Piloten fast 75 Prozent der Runde voll auf dem Gaspedal. Der Kontrast zum vorigen Rennen in Ungarn, wo dieser Wert bei nur 55 Prozent lag, könnte kaum größer sein. Folgerichtig wünschen sich die Partnerteams von Renault vor allem Power und Topspeed – denn jeder Leistungsgewinn bewirkt auf der „Motorenstrecke“ Spa sofort einen Zeitgewinn. Diesen „Power Factor“ können die Ingenieure von Renault Sport F1 sogar berechnen – zum Vergleich: Der Zeitgewinn pro zusätzlichem PS fällt in Belgien doppelt so hoch aus wie auf dem Stadtkurs von Monaco.

Steigungen und Gefälle der „Ardennen-Achterbahn“ setzen das Innenleben der Aggregate – besonders den Ölkreislauf – unter erheblichen Stress. Am tiefsten Punkt der Eau-Rouge-Senke werden die Boliden beispielsweise mit einer vertikalen Kraft von +3g auf den Boden gepresst. Die Fliehkräfte drücken Motoröl und Benzin praktisch an den Boden der jeweiligen Tanks.

Anschließend geht es 80 Höhenmeter steil bergauf. An der Oberkante des Eau-Rouge-Hügels verringert sich die vertikale Kraft schlagartig. Die Autos werden „leicht“, die Kraft- und Schmierstoffe „steigen“ an die Decke der Tanks – und damit weg von den Saugrüsseln der Benzin- und Ölpumpen. Die Pumpen werden daher besonders effektiv ausgelegt, um ein „Verhungern“ in diesen Phasen zu vermeiden.

Ein zentrales Element des belgischen Grand Prix bleibt die wechselhafte Witterung. Manchmal schlägt das Wetter in dem Mittelgebirge – das an die ähnlich launische Eifel anschließt – dermaßen unberechenbar um, dass von einem Streckenteil zum anderen völlig unterschiedliche Verhältnisse herrschen können. Sollte der Asphalt in einem Sektor nass sein, wird der Fahrer dort mehr Grip und Traktion benötigen als im trockenen Abschnitt derselben Runde. Über entsprechende Motoren-Mappings lässt sich das gewünschte sanfte Ansprechverhalten einstellen. Die Ingenieure von Renault Sport F1 versuchen daher, ihren Piloten größtmögliche Flexibilität bei den Motoren-Abstimmungen einzuräumen.

Das spezielle Mikroklima ist ein Aspekt des Berg- und Tal-Charakters von Spa, die Höhenunterschiede ein anderer. Denn sie wirken sich in wechselnder Luftdichte aus. Bei Unterschieden von +/- 100 Höhenmetern kann der Luftdruck innerhalb einer Runde um bis zu 12 mbar schwanken. Kommt weniger – besser gesagt: weniger dichte – Luft in den Zylinder, benötigt das Triebwerk weniger Kraftstoff. Am höchsten Punkt der Strecke verbrennt der Motor bei gleicher Drehzahl rund ein Prozent weniger Sprit als am tiefsten Streckenpunkt.

Der Circuit de Spa-Francorchamps aus der Sicht des Fahrers und Ingenieurs

Jérôme d’Ambrosio, Lotus F1 Team: „Als Belgier bin ich sehr stolz, dass ein so unvergleichlicher Kurs wie Spa meine Heimstrecke ist. Es ist eine fantastische Rennstrecke mit vielen eindrucksvollen Kurven. Jeder spricht zuallererst von Eau-Rouge, aber hier stellt fast jede Kurve eine außergewöhnliche Herausforderung dar. Hier Rennen zu fahren ist grandios. Wir stehen fast ständig auf dem Gas und wollen immer noch mehr vom Motor – mehr Power, mehr Grip. Selbst in langsamen Passagen wie Bus Stop und La Source brauchen wir ein perfektes Ansprechverhalten und maximale Bremsstabilität. Ein gutes, vielseitiges Motor-Mapping kann hier einen großen Unterschied machen.“

Motoren-Ingenieur Rémi Taffin: „In Monza liegt der Volllastanteil zwar noch etwas höher – aber Spa ist dennoch die größere Herausforderung, weil die Kurven hier sehr unterschiedlich sind und es im Laufe der 7-Kilometer-Runde ständig auf und ab geht. Hohe Spitzenleistung ist auf den langen Vollgasstücken das A und O, der RS27 ist zweimal pro Runde für mehr als 20 Sekunden am Drehzahllimit. Wegen dieser hohen Belastungen verwenden alle unsere Partnerteams frische Triebwerke, um jede Leistungsreserve auszuschöpfen.

Obwohl die Spitzenleistung im Vordergrund steht, zählen die anderen Stärken unseres Motors auch in Spa. In ultraschnellen, flüssigen Kurven wie Blanchimont brauchen wir beispielsweise einen eher sanften Drehmomentverlauf. Am Kurveneingang sind die Fahrer sehr schnell – sie müssen versuchen, diesen Speed zu halten, ohne dass das Heck unruhig wird. Auch das Verhalten der Motorbremse ist wesentlich, weil es zwei Bremszonen gibt, in denen hohe Stabilität beim Bremsen gefragt ist. Vor La Source bremsen die Fahrer auf nur noch 70 km/h und 8.700 Umdrehungen runter, vor der Bus-Stop-Schikane verzögern sie von weit über 300 km/h auf 75 km/h. In den Beschleunigungsphasen wiederum kommt es auf ein gut gestuftes Getriebe an – angesichts des „langen“ siebten Gangs ist dieser Aspekt für eine gute Rundenzeit sehr wichtig. Kurz: In Spa-Francorchamps musst du als Motorenpartner in jeder Disziplin perfekt aufgestellt sein.

Bekanntlich gehört das Streckenprofil von Spa zu jenen Kursen, die wir als Referenz für die Zuverlässigkeits- und Leistungstests auf unseren Prüfständen verwenden. Aber auch in der konkreten Rennvorbereitung sticht Spa bei der Prüfstandsarbeit heraus: Wir verwenden 4,5 Stunden auf die üblichen Prüfstandtests und weitere fünf Stunden für die Kalibrierung – mehr als für andere Kurse. Aus all diesen Gründen schmeckt ein Sieg auf dieser Rennstrecke für einen Motorenhersteller ganz besonders süß.“