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Formel 1
06.09.2012

Renault Sport F1-Vorschau auf den Italien GP

Der Große Preis von Italien ist der größte Klassiker der Formel 1-Historie. Seit 1950 wurden hier 61 Grands Prix ausgetragen – mehr als auf jeder anderen Strecke. Das legendäre Autodromo Nazionale di Monza genießt den ehrfurchtsvollen Ehrentitel „Tempel des Tempos“ oder wie die Briten sagen „Kathedrale des Speed“.

Mehr als drei Viertel der 5,793 Kilometer langen Runde werden mit Vollgas gefahren, vier Mal pro Umlauf erreichen die Rennwagen Spitzengeschwindigkeiten jenseits der 330 km/h. Die Strecke knapp 20 Kilometer nördlich von Mailand gilt als ultimative Prüfung für die Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit der Rennmotoren – und damit als eine der härtesten Herausforderungen für die Motorentechniker überhaupt.

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Das Layout des Kurses erinnert von seinen Anforderungen her an eine Oval-Rennstrecke – die langen Geraden werden nur von zwei Schikanen unterbrochen. Monza weist mit dem zweifachen Linksknick Lesmo eins und zwei sowie der 180-Grad-Kehre Parabolica nur zwei „echte“ Kurven auf. Klare Botschaft dieser Charakteristik: Kraftvolle Beschleunigung und hohe Endgeschwindigkeit stehen bei Renault Sport F1 ganz oben auf der Prioritätenliste. 2011 siegte Renault mit Red Bull Racing und Sebastian Vettel erstmals seit 1995 in Monza. Damals profitierte Johnny Herbert im Benetton-Renault von einem Crash der führenden Damon Hill und Michael Schumacher, beide ebenfalls mit Triebwerken von Renault unterwegs.

In den Jahren 1994 und 1993 hatte Damon Hill im Williams-Renault jeweils die Highspeed-Schlacht gewonnen, 1991 siegte Nigel Mansell für die britisch-französische Paarung. Die ersten beiden Monza-Triumphe für Renault holte das Werksteam der Marke Anfang der 1980er Jahre: 1981 gewann Alain Prost im turbobefeuerten Renault RE30, 1982 sein Teamkollege René Arnoux im RE30B.

Der Große Preis von Italien im Überblick

In Monza erzielen die Formel 1-Renner die höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten des Jahres. Im Qualifying klettert der Schnitt auf rund 250 km/h, die schnellsten Rennrunden lagen 2011 bei über 240 km/h. Auf der Zielgerade pfeilen die Boliden kurz vor der ersten Schikane mit rund 340 km/h durch die Lichtschranken. Je nach dem Umgang mit dem verstellbaren Heckflügel DRS und der Energierückgewinnung KERS könnten die Höchstgeschwindigkeiten in diesem Jahr diese Marke sogar noch übertreffen.

Der Renault RS27-V8 läuft hier fast durchgehend im höchsten Drehzahlbereich oberhalb von 16.000 U/min. Eine wesentliche Zielsetzung bei der Abstimmung besteht darin, auf den Geraden nicht zu früh das Limit des Drehzahlbegrenzers zu erreichen. Gelingt dies, wird fast über die gesamte Gerade weiter beschleunigt – der effektivste Weg zu hohen Topspeeds. Gerät der Motor aber zu früh an den Punkt, an dem der Limiter abregelt, fährt das Auto zu lange bei Endgeschwindigkeit. Dies kostet unweigerlich Zeit auf der Geraden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Wahl der Getriebeübersetzungen entscheidend – und so knifflig wie auf kaum einem anderen Kurs.

Die fast pausenlos hohen Drehzahlen setzen die beweglichen Teile der Triebwerke unter enorme Belastungen. Renault Sport F1 nutzt das Monza-Profil deshalb als Referenz für die Zuverlässigkeits-Tests auf den Prüfständen im Workshop von Viry-Châtillon. Die Aggregate müssen auf dem Prüfstand bis zu zwölf Stunden lang ihre simulierten Runden durch den „Tempel des Tempos“ ziehen – eine härtere Prüfung für die Dauerhaltbarkeit ist kaum vorzustellen.

Die Tatsache, dass ein Großteil der Runde mit voll geöffneten Drosselklappen gefahren wird, treibt unweigerlich den Kraftstoffverbrauch in die Höhe. Andererseits spart die auf geringsten Luftwiderstand ausgelegte aerodynamische Abstimmung einiges an Sprit ein. Durch den einzigartigen Charakter der Strecke ergibt sich eine scheinbar paradoxe Situation: In Monza wird so viel Kraftstoff eingespritzt wie auf keinem anderen Grand Prix-Kurs. Weil die Autos aber extrem schnell unterwegs sind, liegt Monza beim Spritverbrauch gemessen in Kilogramm pro Kilometer im durchschnittlichen bis unteren Bereich.

Die Highspeed-Geraden sind wie gesagt das Zentrum der Setup-Überlegungen. Gleichzeitig achten die Motoreningenieure aber auch sehr genau auf das Verhalten der Triebwerke in den Schikanen. Hier werden die Autos in weniger als zwei Sekunden von über 300 km/h auf unter 80 km/h runtergebremst. Dabei muss die Motorbremse ein Höchstmaß an Stabilität gewährleisten, damit die Piloten die Ideallinie halten und sauber herausbeschleunigen können. Zur besagten Ideallinie gehören in Monza seit vielen Jahren die Randsteine der Schikanen. Auf der Suche nach Sekundenbruchteilen und Schwung für die Geraden rattern die Fahrer brutal über die Kerbs. Dabei heben auch die Antriebsräder immer wieder kurz ab. Beim Abstimmen der Motorsteuerung ist es wichtig, dass das Triebwerk dabei nicht in den Drehzahlbegrenzer gerät, weil dies kurzfristig Last von der Maschine nimmt und Zeit kostet.

Die lange 180-Grad-Kurve Parabolica wird im vierten Gang gefahren. Dabei läuft der Motor rund vier Sekunden lang auf einem stabilen Drehzahlniveau. Der Fahrer muss in dieser Passage sanft mit dem Gaspedal umgehen, der RS27 wiederum sollte sanft ansprechen und nicht zu „spitz“ auf Gaspedalbefehle reagieren. In der Parabolica geht es darum, konstant in die Kurve hineinzurollen und den Schwung zu behalten.

Das Autodromo Nazionale di Monza aus der Sicht des Fahrers

Sebastian Vettel, Red Bull Racing: „Monza zählt fraglos zu den absoluten Motoren-Strecken im gesamten Formel 1-Kalender. Ein Sieg auf diesem Traditionskurs ist etwas ganz Besonderes. Du stehst fast die gesamte Runde über voll auf dem Gas – daher benötigen wir hier einen besonders leistungsfähigen Motor, der vor allem im oberen Drehzahlbereich maximale Power liefert. Denn jedes Extra-PS kannst Du direkt in einen deutlichen Zeitgewinn ummünzen. In den langsameren Schikanen ist das richtige Getriebe-Setup besonders wichtig, um optimal auf die nächste Gerade herausbeschleunigen zu können. Alles in allem ist Monza also eine sehr anspruchsvolle Strecke. Im vergangenen Jahr konnten wir hier mit unserem Renault Motor gewinnen. Ich hoffe, dass wir diesen tollen Erfolg am kommenden Wochenende wiederholen können.“

Das Autodromo Nazionale di Monza aus der Sicht des Motoren-Ingenieurs

Rémi Taffin, Leiter des Renault Sport F1 Einsatzteams: „Der Grand Prix-Kurs von Monza ähnelt dem Highspeed-Oval von Indianapolis in den USA, denn die Durchschnittsgeschwindigkeit ist hier mit über 250 km/h ähnlich hoch. Im Königlichen Park von Monza läuft unser RS27-V8 in zwei Streckenabschnitten fast 20 Sekunden lang unter Volllast. Das würde für den Start eines kleines Flugzeugs genügen. Aber zum Glück verfügen unsere Formel 1-Boliden über ein ausgeklügeltes Flügelwerk, das sie an den Boden presst. Sowohl der Fahrer als auch das Auto sind hier in Monza extremen Belastungen ausgesetzt.

Für die Motoren bedeutet Monza vor allem eines: Stress. Denn der Vollgasanteil ist mit 75 Prozent pro Runde sehr hoch. Obwohl wir bereits beim vorigen Rennen in Spa-Francorchamps neue Triebwerke eingesetzt haben, statten wir unsere Partnerteams vor diesem Rennen erneut mit neuen RS27-V8 aus. Natürlich stehen bei diesem Grand Prix vor allem die Höchstgeschwindigkeit und die maximale Motorenpower im Fokus. Gleichzeitig widmen wir uns aber auch intensiv der exakten Getriebeabstimmung, damit unsere Piloten aus den engen Ecken optimal auf die nächste Gerade herausbeschleunigen können. Daher verwenden wir hier längere Übersetzungen als auf anderen Strecken.

Trotz des sehr hohen Vollgasanteils ist der Benzinverbrauch in Monza einer der geringsten der gesamten Saison. Dementsprechend starten wir hier auch mit der zweitniedrigsten Benzinmenge in das Rennen. Nur in Monaco sind die Tanks noch knapper befüllt, weil bei diesem Grand Prix die Renndistanz sehr gering ist. Überraschenderweise ist Monza die verbrauchseffizienteste Strecke im gesamten Rennkalender, denn die Achtzylinder laufen relativ konstant in einem Drehzahlbereich. Hinzu kommt der geringe aerodynamische Widerstand der Fahrzeuge auf diesem Highspeed-Kurs. Man kann es vergleichen mit dem Fahren auf der Autobahn und dem Stadtverkehr: Wenn du mit einer konstanten Geschwindigkeit unterwegs bist, ist der Benzinverbrauch geringer als beim ständigen Stop-and-Go-Verkehr mit häufigem Hoch- und Runterschalten.

Dem Energierückgewinnungs-System KERS kommt auf dieser Rennstrecke eine besondere Bedeutung zu, denn der zusätzliche Schub erleichtert das Überholen. Allerdings ist es nicht einfach, die nötige Energie im Verlaufe einer Runde zurückzugewinnen, denn es gibt lediglich zwei Bremszonen. Das Aufladen der Batterie ist daher eine echte Herausforderung.“