Freitag, 27. Dezember 2024
Motorsport XLDas Motorsport MagazinVorschau Abonnement
Sonstiges
25.09.2015

Die Vision des Nürburgring-Erbauers Dr. Otto Creutz

Sie strahlte mit der Sonne um die Wette und wusste gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte: hier der moderne Grand-Prix-Kurs, dort die altehrwürdige Nordschleife, die sich durch saftig grüne Eifel-Wiesen und -Wälder schlängelt. Gisela Herbstrith, stolze 93 Jahre alt, genoss den weiten Ausblick vom Turm der alten Raubritterburg, der Nürburg, sie genoss den Ausflug zum Nürburgring, den ihr Vater Dr. Otto Creutz als Landrat erbauen ließ.

Am Sonntag, 27. September, jährt sich die Grundsteinlegung der weltberühmten Rennstrecke zum 90. Mal. „Bei uns zuhause gab es immer nur ein einziges Thema: den Nürburgring“, erinnert sich Gisela Herbstrith, die Ende August von Pforzheim, wo sie einst den Schmuckfabrikanten Otto Herbstrith heiratete, zum Nürburgring gereist war. Zuletzt war sie 2011 am „Ring“ gewesen. Sie kletterte auf die Nürburg, sie besuchte den nach ihrer Mutter benannten Streckenabschnitt Hedwigshöhe und das Caracciola-Karussell, sie besichtigte das Denkmal für ihren Vater unweit des historischen Fahrerlagers, und sie blickte fasziniert auf die Menschenschar beim Pitwalk der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC). „So viele Menschen am Nürburgring, das ist toll“, freute sich Gisela Herbstrith.

Anzeige
Voller Ehrfurcht spricht die immer noch wissbegierige und dynamische 93-Jährige von den Taten ihres Vaters, der damals als Landrat des Kreises Adenau sich unermüdlich für den Bau einer geschlossenen, verkehrsunabhängigen Rennbahn rund um die Nürburg einsetzte. „Er war sich sicher, dass das Automobil immer mehr an Bedeutung gewinnen würde.“

Mit 88 Jahren fuhr Gisela Herbstrith letztmals selbst über den „Ring“

Gisela Herbstrith, 1922 in Bitburg geboren, war drei Jahre alt, als der Grundstein gelegt wurde. 90 Jahre später ist sie unumwunden stolz auf das, was ihr Vater in der Eifel geschaffen hat. Ihre Faszination für den Nürburgring ist ungebrochen. „Ich bin so gerne mit dem Auto über die Nordschleife gefahren“, erzählt sie mit leuchtenden Augen. „Mit 88 bin ich meine letzte Runde gefahren. Jetzt sind meine Augen nicht mehr gut genug, um selbst zu fahren, leider.“ Aber die Runde Nordschleife musste auch bei diesem Nürburgring-Besuch sein, dann halt eben auf dem Beifahrersitz, wenn schon nicht selbst hinter dem Lenkrad. Auch der Abstecher nach Adenau durfte nicht fehlen, um ihre alte Schule am heutigen Dr. Creutz-Platz oder andere Gebäude aus jener Zeit zu sehen, als sie eine glückliche Kindheit in Adenau verlebte.

Adenau war damals Kreisstadt, aber es war der ärmste Kreis im Deutschen Reich. Nicht umsonst bezeichnete man die Eifel-Region als das „Sibirien Preussens“. Der erste Gedanke an den Bau einer Rennstrecke stammte vom damaligen Kaiser selbst, den das noch junge Automobil und das Kaiser-Preis-Rennen bei Homburg im Taunus begeisterte. Das war um 1906/1907. Im Jahr 1922 fand dann das erste Eifelrennen rund um Nideggen bei Düren statt. Erneut keimten die Überlegungen für eine Rennbahn auf. Taunus, Eifel oder Lüneburger Heide waren als Standorte im Gespräch.

Der Bonner Hans Weidenbrück gründete am 31. Januar 1925 den Automobil-Club von Adenau und regte sogleich den Bau einer Gebirgs-Rennstrecke auf den öffentlichen Straßen rund um die Nürburg an. Nach ersten Verhandlungen vor allem mit der Kreisverwaltung und Dr. Creutz, folgten am 15. April des gleichen Jahres grundlegende Besprechungen im Wohlfahrts-Ministerium in Berlin über die Anerkennung des Baues einer „Gebirgs- Renn- und Prüfungs-Straße“ als große Notstandsarbeit im Rahmen einer produktiven Erwerbslosenfürsorge, wie es damals hieß. Die Arbeitslosigkeit hatte zu dieser Zeit im Bezirk Koblenz dramatische Formen angenommen.

Dr. Creutz hatte schon damals die touristischen Möglichkeiten im Visier

Dr. Otto Creutz ging es nur indirekt um ein Sport- und Testfeld für die Industrie, vielmehr erkannte der 1889 in Köln geborene Creutz schon früh die touristischen Möglichkeiten einer solchen Einrichtung, ganz abgesehen davon, das schon während der Bauphase die Region einen beachtlichen Aufschwung erlebte. Unermüdlich nutzte der Landrat seine guten Kontakte in Berlin, die er aus seiner Zeit im Innenministerium hatte.

Bereits am 27. April 1925 nahmen rund 60 Arbeiter „kleine Notstandsarbeiten“ im Bereich Galgenkopf vor, drei Tage später folgten die ersten Vermessungen. Am 18. Mai kam es zu einer denkwürdigen Sitzung des Kreistages Adenau, in der einstimmig der Bau der Rennstrecke beschlossen wurde. Das Ingenieur-Büro von Gustav Eichler aus Ravensburg übernahm am 13. Juni die Bauleitung. Schließlich begann am 01. Juli die „große Notstandsarbeit“, obwohl erst am 13. August die Genehmigung des Baues eben als „große Notstandsarbeit“ durch das Ministerium erteilt wurde. Es folgte ein wahrer Marathon an Besprechungen, Verhandlungen, Genehmigungen und Begehungen im Sommer 1925.

Nachdem am 14. August vier Baufirmen für die vier Bauabschnitte beauftragt worden waren, fand am 27. September 1925 – ein Sonntag mit schlechtem Wetter – die offizielle Grundsteinlegung durch den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Dr. Fuchs, am zukünftigen Start- und Ziel-Platz in Gegenwart leitender Vertreter aus Politik und Sport sowie der Presse statt. „Ich freue mich über das Einsehen der Vertretung des Kreises, an der Spitze der Landrat, dass sie nach neuen Wegen gesucht hat, um die Bevölkerung ihr schweres Los erträglicher zu machen. Unser aller Pflicht ist es, dieses Unternehmen zu fördern“, machte auch Dr. Fuchs in seiner Rede deutlich, dass der Rennstreckenbau zuallererst der Wirtschaftsförderung diente.

Remagener Rudolf Caracciola gewann 1927 das Eröffnungsrennen

Der Name Nürburg-Ring, so die ursprüngliche Schreibweise, wurde am 30. Oktober 1925 als Name für die Erste Deutsche Gebirgs-Renn- und Prüfungsstraße für Kraftfahrzeuge im Kreis Adenau eingeführt. Es war der preisgekrönte Vorschlag von Dr. Francis Kruse, Regierungspräsident a.D. aus Godesberg.

Teilweise über 2300 Arbeiter trotzten selbst dem harten Winter und schufen „in unbegreiflich kurzer Zeit mit Arbeitslust und unermüdlicher Tatkraft“, wie es damals beschrieben wurde, den Nürburg-Ring, insgesamt etwa 29 Kilometer Rennstrecke, verteilt auf Nordschleife und Südschleife.

Am 09. Juni 1927 besichtigte der Radsport-Weltverband UCI den Nürburg-Ring zur Vorbereitung der sechs Wochen später stattfindenden Rad-Straßen-Weltmeisterschaft, ehe am 18./19. Juni 1927 mit dem Eifelrennen das eindrucksvolle Werk, das Weltbedeutung erlangen sollte, offiziell eröffnet wurde. Rudolf Caracciola (Remagen) siegte mit einem Mercedes-Benz nach dreieinhalb Stunden und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 96,5 km/h.

Welche Vision ihr Vater, der Landrat und Nürburgring-Erbauer Dr. Otto Creutz, schon damals gehabt hat, wurde Gisela Herbstrith bei ihrem Ausflug in die Vergangenheit noch einmal eindrucksvoll bewusst. Und die 93-Jährige ist fest entschlossen, zum 90. Jahrestag der Nürburgring-Eröffnung wiederzukommen.
Anzeige