Herr Marquardt, Herr Neerpasch, inwieweit sind 40 Jahre BMW Motorsport Nachwuchsförderung für Sie beide ein ganz besonderes Jubiläum?
Jochen Neerpasch: „Ich fand es toll, Eddie Cheever nach all der Zeit wieder einmal zu treffen. Ich hatte ihn ewig nicht mehr gesehen. Es ist großartig zu sehen, wie sich diese Menschen auch über den Motorsport hinaus weiterentwickelt haben. Das war für mich ein großes Erlebnis.“Jens Marquardt: „Für mich ist es beeindruckend, wie wir es bei BMW Motorsport schaffen, Projekte wie das vor 40 Jahren von Herrn Neerpasch initiierte Nachwuchsprogramm in ihren Grundideen weiterzuführen und darauf immer wieder aufzubauen. Daran, wie gut sich ehemalige und aktuelle Junioren auf Anhieb verstanden haben, sieht man, dass bei BMW die Motorsport-Familie über die Jahre einfach eine tolle Einheit bildet.“
Als das BMW Junior Team 1977 an den Start gegangen ist, sind Sie, Herr Marquardt, noch zur Schule gegangen …
Marquardt: (lacht) „Ja, da war ich zehn.“
Wann haben Sie angefangen, sich für Motorsport zu interessieren?
Marquardt: „Das war ungefähr in dieser Zeit, wobei ich da ganz ehrlich gestehen muss, dass ich mich da noch nicht großartig für BMW interessiert habe. Ich bin mit einem Freund immer zur Schule geradelt, und wir sind Rennen gefahren. Wir waren natürlich Formel-1-Fahrer, er war Jacky Ickx, ich musste mir was anderes aussuchen und habe dann Mario Andretti genommen, einfach weil ich den schwarzen Lotus mit der goldenen Schrift so toll fand. Ich habe auf dem Rennrad als Mario Andretti auch das eine oder andere Rennen in die Schule gewonnen.“ (lacht)
Stichwort Schule, Herr Neerpasch: Wie sind Sie damals auf die Idee gekommen, mit dem BMW Junior Team eine Rennfahrer-Schule ins Leben zu rufen?
Neerpasch: „Ich bin früher selbst Rennen gefahren und hatte gewisse physische Probleme. Wenn es einen Wetterumschwung gab, hatte ich Kopfschmerzen und war unkonzentriert. Damals gab es noch keine Physiotherapeuten, die Fahrer waren total auf sich alleine gestellt. Das war das erste, was mir in den Kopf kam, als ich ins Management ging und für den Rennsport verantwortlich war. Den Fahrern eine physische Grundlage zu geben, das System Mensch-Maschine zu fördern und nicht nur Wert auf die Technik zu legen, sondern sehr wohl auch den Fahrer zu schulen. Denn nur das Gespann aus Fahrer und Technik kann erfolgreich sein, und deshalb haben wir mit dem BMW Junior Team begonnen.“
Der erste Jahrgang mit Eddie Cheever, Marc Surer und Manfred Winkelhock war aufgrund seiner Fahrweise als „Wilde Reiter GmbH“ bekannt. Waren Sie immer überzeugt, dass Sie mit den drei Fahrern die richtige Wahl getroffen hatten?
Neerpasch: „Oh ja. Wir hatten sie natürlich vorher schon beobachtet. Alle drei waren in der Formel 3 recht erfolgreich, und wir haben sie als herausragende Talente erkannt. Wir haben sie dann auch nicht einfach auf die Rennstrecke gelassen, sondern sie über den Winter in Test- und Versuchsfahrten technisch ausgebildet. Wir sind dann ins Fitness-Camp nach St. Moritz gefahren und haben sie physisch ausgebildet. Sie waren gut vorbereitet. Aber wir hatten keine Regeln, wer vorne sein soll, sondern wir haben sie frei gegen unsere Senioren – das waren damals Ronnie Peterson, Hans-Joachim Stuck und David Hobbs – auf gleichen Fahrzeugen ins Rennen geschickt. Das war für die auch ein Maßstab. Sie haben aufgrund der Konkurrenz untereinander und auch mit den Senioren in sehr kurzer Zeit sehr viel mehr gelernt.“
Herr Marquardt, auch heute ist noch die enge Zusammenarbeit zwischen BMW Werksfahrern und BMW Motorsport Junioren ein sehr wichtiger Punkt, richtig?
Marquardt: „Absolut. Genau die gleichen Grundsätze wie damals gelten auch heute. Es geht darum, unsere Junioren technisch, physisch und mental weiterzubringen. Das kann man nicht besser machen als über erfolgreiche Beispiele und Vorbilder. Davon haben wir zum Glück viele. Wir haben Dirk Adorf, der sich ganz früh im Programm um die Junioren kümmert, und Jörg Müller, der für die GT3-Ausbildung zuständig ist. Dazu kommen aber auch Martin Tomczyk, Philipp Eng und all die anderen, die mit den Junioren gerne fahren. Sie haben alle einfach Spaß und wissen natürlich aus eigener Erfahrung, dass auch sie in ihrer Karriere Leute hatten, die sie unterstützt haben. Das geben sie gerne an die Junioren zurück. Die Fahrer sind ein richtig tolles Team. Darauf bin ich stolz.“
Wie zufrieden sind Sie generell mit der Neuausrichtung des Junior-Programms seit 2014?
Marquardt: „Nach der Formel BMW und dem Formula BMW Talent Cup haben wir das neue Programm wieder mehr daran angelehnt, wie es früher gelaufen ist. Dass man sich junge Fahrer aussucht und diese dann gezielt in den BMW Programmen und mit den BMW Produkten aufbaut. Der Erfolg unseres ehemaligen Juniors Jesse Krohn, der nun zum festen GT-Fahreraufgebot zählt, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und so machen wir auch weiter.“
Herr Neerpasch, haben sich aus Ihrer Sicht die Anforderungen an junge Rennfahrer in den letzten Jahrzehnten sehr verändert?
Neerpasch: „Ich glaube schon. Man fängt heute sehr viel früher an, sich mit dem Motorsport zu beschäftigen. Man fährt ja schon mit sechs, sieben Jahren Kart. Auch die Vorbereitung ist anders. Heute wird alles simuliert. Ein Rennfahrer kennt jetzt schon die Rennstrecke, bevor er sie das erste Mal befährt. Da hat sich sehr viel geändert. Früher musste man alles aufgrund eigener Erfahrungen erlernen, heute geht man bereits sehr gut vorbereitet auf die Rennstrecke.“
Herr Marquardt, wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht für einen Hersteller wie BMW, selbst seinen Nachwuchs zu fördern?
Marquardt: „Das ist extrem wichtig. Wir sind mit unserem Programm vom GT-Sport über DTM, WEC und IWSC bis zur Formel E so breit aufgestellt, dass wir natürlich von uns selbst entwickelte Junioren in diesen Programmen erfolgreich einsetzen wollen. Ich glaube, Herr Neerpasch hat ganz früh erkannt, dass es genauso wichtig ist, in die Fahrer zu investieren wie in die Technik. Denn es hilft einem nichts, wenn man ein tolles Auto hat, aber der Fahrer, der am Ende doch oft den kleinen Unterschied ausmacht, aus sich selbst und damit aus dem Gesamtpaket nicht 100 Prozent herausholen kann.“
Wie hoch ist vor diesem Hintergrund die Arbeit von Herrn Neerpasch, die er nicht nur für die Nachwuchsförderung, sondern generell für BMW M und BMW Motorsport geleistet hat, zu bewerten?
Marquardt: „Ich habe größten Respekt vor seiner Leistung. Herr Neerpasch ist für mich in vielerlei Hinsicht ein riesen Vorbild, weil er gerade für BMW M und für BMW Motorsport, aber auch für die Nachwuchsförderung als Pionier einen Weg in die Zukunft gewiesen hat. Auch das Art Car, das vor kurzem in Macau unterwegs war, war eine der Ideen, die er mit entwickelt hat.“Neerpasch (lacht): „Jetzt kriege ich aber langsam einen roten Kopf …“
Herr Neerpasch, welchen Eindruck haben Sie von den aktuellen Junioren und davon, wie sie ausgebildet werden?
Neerpasch: „Das hat mich sehr beeindruckt, muss ich sagen. Schon alleine die Köpfe zu sehen, wie engagiert sie sind, wie gut sie ausgebildet sind. Und auch ihre Einstellung, das finde ich sehr bemerkenswert. Ich bin ja schon länger aus dem Geschäft, aber jetzt muss ich Ihnen ein Kompliment machen, Herr Marquardt, das ist wirklich toll und hat einen sehr guten Eindruck gemacht.“Marquardt: „Vielen Dank!“