Die Toskana ist seit Jahren eines der beliebtesten Reiseziele der BMW Werksfahrer. Jedoch ziehen sie nicht in erster Linie das Meer, der Wein oder das gute Essen in die Küstenstadt Viareggio (ITA), sondern das Trainingsgelände der Formula Medicine. Dr. Riccardo Ceccarelli und sein Team waren bis vor Beginn der aktuellen COVID-19-Krise die wohl beliebteste Anlaufstelle für einige der besten Rennfahrer der Welt sowie viele Nachwuchsathleten, wenn sie an ihrer physischen und psychischen Stärke arbeiten wollten – und wird es danach auch wieder sein, denn: Egal ob medizinische Untersuchungen, Fitnesstraining oder Mentaltraining: Formula Medicine bietet ein ganzheitliches Programm.
Die Hauptrolle spielt dabei das Mentaltraining. „Es unterscheidet sich völlig von dem, was es davor gab“, sagt Ceccarelli und erklärt: „Unsere Philosophie besagt, dass Mentaltraining nur dafür da ist, die Leistung des Gehirns zu optimieren. Viele gehen erst zum Mentaltrainer, wenn sie ein Problem haben, das sie lösen wollen. Unser Mentaltraining richtet sich an gesunde Top-Athleten und Top-Rennfahrer, die kein Problem haben, sondern die Leistung ihres Gehirns noch weiter optimieren wollen. Das ist eine völlig andere Herangehensweise.“
Als Ausgangspunkt für diese neue Herangehensweise orientierte sich Ceccarelli, der in seiner Jugend selbst Profi-Rennfahrer werden wollte und 1989 angefangen hat, als Arzt in der Formel 1 zu arbeiten, an den typischen Abläufen im Motorsport. „In über 30 Jahren im Rennsport habe ich von Ingenieuren gelernt, dass objektive Daten und deren Analyse am wichtigsten sind“, sagt Ceccarelli. „Das haben wir auf unser Mentaltraining übertragen. Wir haben selbst Hardware und Software entwickelt, mit der wir Gehirnleistungen objektiv messen können. Bei der Analyse kann ein Fahrer wie in einem Spiegel anhand der Daten seine Stärken und Schwächen direkt erkennen.“
Drei Stufen des Mentaltrainings
Die nüchterne Analyse des Status Quo ist jedoch nur die erste Stufe. Es folgt die Selbsterkenntnis des Athleten, die ebenfalls enorm wichtig ist. „Viele der besten Rennfahrer der Welt zeichnen sich durch ein hohes Maß an Selbsterkenntnis aus“, weiß Ceccarelli, der unter anderem die Formel-1-Fahrer Charles Leclerc (MON) und Daniel Ricciardo (AUS) sehr gut kennt und mit ihnen intensiv gearbeitet hat. „Die besten Rennfahrer können sich selbst sehr gut einschätzen und streben immer danach, so viel wie möglich über sich zu lernen. Nur wer sich sehr gut einschätzen kann, wird in Stresssituationen auch die optimale Leistung bringen. Das ist der Schlüssel.“Der dritte entscheidende Punkt in der Mentaltrainingsphilosophie von Formula Medicine ist die Effizienz. Ceccarelli erklärt: „Wenn man einen Motor optimiert, versucht man nicht nur, so viel Leistung wie möglich aus ihm herauszuholen, sondern ihn auch so effizient wie möglich zu machen. Wir machen mit dem Gehirn dasselbe: Leistung erhöhen und Energieverbrauch gleichzeitig so gering wie möglich halten. Je effizienter das Gehirn arbeitet, desto leistungsfähiger und ausdauernder ist es unter Belastung.“
Um die verschiedenen Stufen zu erreichen, nutzt Formula Medicine verschiedenste Trainingsformen und Messmethoden. So werden Gehirnleistungen parallel zu Konzentrations-, Koordinations- oder Reaktionsübungen erfasst. Ebenso werden Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Gehirns geschult. „Wenn zum Beispiel das Wetter an einem Rennwochenende schnell umschlägt, muss der Fahrer in der Lage sein, sich innerhalb kurzer Zeit mental an die neuen Gegebenheiten anzupassen“, sagt Ceccarelli.
Alexander Sims hat von Mentaltraining profitiert
Ein BMW Werksfahrer, mit dem Ceccarelli in Vorbereitung auf die aktuelle Saison intensiv gearbeitet hat, ist BMW i Andretti Motorsport Fahrer Alexander Sims (GBR). Nach einigen Jahren im GT-Sport stieg er Ende 2018 neu in die ABB FIA Formula E Championship ein und tat sich anfangs teilweise schwer, sich an die völlig neuen Herausforderungen der Rennserie anzupassen. „Alexander hat in der Vorbereitung auf seine zweite Formel-E-Saison große Fortschritte gemacht“, sagt Ceccarelli. „Er war schon ein Top-Fahrer, bevor er mit uns gearbeitet hat. Wir haben ihm nur Wege aufgezeigt, wie er sein Talent noch besser umsetzen kann.“Das vorläufige Ergebnis: Sims fuhr in den ersten beiden Rennen der aktuellen Formel-E-Saison auf die Poleposition, feierte einen Sieg und liegt in der Fahrerwertung auf dem dritten Platz. „Formula Medicine ist ein wunderbarer Ort, um komplett ehrlich mit der eigenen Leistung umzugehen und gemeinsam konstruktiv an Verbesserungen zu arbeiten“, sagt Sims. „Es gab nicht die eine Maßnahme, die mir speziell geholfen hat, es waren eher einige verschiedene Hebel, die wir verstellt haben, damit ich noch besser mit den einzigartigen Drucksituationen in der Formel E umgehen kann.“ Sims spricht von Werkzeugen, die ihm das Mentaltraining an die Hand gibt, um besser auf steigenden Druck reagieren zu können als früher. „Das kann sein, einfach auf einem Stuhl zu sitzen und den Kopf freizumachen, oder ganz kleine körperliche Übungen, die mir helfen, das Adrenalin abzubauen.“
Auch Teamwork ist ein wesentlicher Aspekt in der Arbeit von Formula Medicine. Im Vorfeld der aktuellen Formel-E-Saison war Sims gemeinsam mit seinem Fahrerkollegen Maximilian Günther (GER) und dem Chefingenieur von BMW i Andretti Motorsport, Valentino Conti, in Viareggio. „Es war das erste Mal für mich, dass ein Ingenieur dabei war. Das war sehr interessant und hat uns aus meiner Sicht auch sehr viel gebracht“, sagt Sims. „Ich war beeindruckt zu sehen, wie stark er in manchen Mentaltests war, deutlich stärker sogar als wir Fahrer. Es war sehr wertvoll, gemeinsam durch die Prozesse zu gehen und so zu einem stärkeren Team zusammenzuwachsen.“
BMW Junior Team war zwei Monate bei Formula Medicine
Unter dieser Überschrift stand Anfang dieses Jahres auch das zweimonatige Trainingscamp des BMW Junior Teams. Dan Harper (GBR), Max Hesse (GER) und Neil Verhagen (USA) bereiteten sich körperlich und mental intensiv auf ihre ersten Renneinsätze vor, wohnten gemeinsam in einem Haus und wuchsen so als Team zusammen. „Die Jungs waren von Anfang an offen für unsere Philosophie und hatten den Willen, hart an sich zu arbeiten“, sagt Ceccarelli. „Das sind die besten Voraussetzungen, um erfolgreich mit Formula Medicine zu arbeiten. Entsprechend glücklich bin ich, dass alle drei Fahrer das Trainingscamp mit sehr großem Eifer durchgezogen haben und auch menschlich zu einem echten BMW Junior Team zusammengewachsen sind.“Die Förderung junger Nachwuchsfahrer liegt Ceccarelli besonders am Herzen, denn ihnen kann Mentaltraining dabei helfen, deutlich früher in ihrer Karriere ihr Potenzial auszuschöpfen. „Normalerweise erreicht ein Rennfahrer die optimale mentale Reife mit 27, 28 Jahren“, sagt Ceccarelli. „Unser Ziel ist, dass junge Fahrer dank unseres Trainings diese Reife bereits mit 20 oder 21 Jahren erreichen.“
Die Junioren zeigen sich vom Trainingscamp begeistert. „Mir persönlich hat es am meisten gebracht zu lernen, wie ich mich selbst besser einschätze“, sagt Hesse. „Ich bin schon jetzt erstaunt, auf wie viel des Gelernten ich beim Laufen, beim Krafttraining oder im Rennsimulator zurückgreifen kann. Ich bin mir sicher, das wird später, wenn wir wieder reale Rennen fahren, genauso sein.“ Das bestätigt Harper und ergänzt: „Da ich Mentaltraining vorher nicht kannte, habe ich wirklich große Fortschritte gemacht. Und selbst jetzt, da wir bei uns zu Hause sind und nicht in Viareggio trainieren können, haben wir Online-Sessions, die mir sehr dabei helfen, nicht nur körperlich sondern vor allem auch mental in guter Form zu bleiben.“ Verhagen sagt: „Als ich zu Formula Medicine gekommen bin, habe ich schnell gelernt, dass das Gehirn genauso ist wie ein Muskel, der regelmäßig trainiert werden muss.“
Nicht nur die BMW i Andretti Motorsport Fahrer und das BMW Junior Team sind regelmäßig in Viareggio zu Gast. Auch für die DTM- oder IMSA-Fahrer sowie die BMW GT-Piloten ist Formula Medicine zu einer zweiten Trainingsheimat geworden. Sobald es die momentane Situation wieder zulässt, werden sicher die nächsten Besuche bei Dr. Ceccarelli und seinem Team folgen.