Laut? Nur in Ausnahmefällen
Müller wirkt eher als ruhiger Zeitgenosse. Er ist keiner, der gern laute Sprüche von sich gibt. Aber er kann auch anders, wie sein Ausraster am Boxenfunk im Sonntagsrennen am zweiten Zolder-Wochenende zeigte. Als ihm Audi-Markenkollege Jamie Green das Leben auf der Strecke schwer machte, äußerte Müller über Funk unmissverständlich seinen Unmut über das Fahrverhalten des Briten. „Das passiert bei Nico nicht oft, aber wenn ihm etwas nicht passt, dann sagt er es auch“, weiß Thomas Biermaier, Chef des Audi Sport Team Abt Sportsline, für das Müller seit 2016 in der DTM an den Start geht.Besonders seit seinem Wechsel von der Rosberg-Mannschaft ins Abt-Team zeigt Müllers Formkurve in der Serie nach oben. Biermaier: „Nico braucht ein ruhiges, gefestigtes Umfeld, damit er sich wohl fühlt und seine beste Leistung abrufen kann. Das findet er seit Jahren bei uns.“ Bereits beim ersten Auftritt für das Allgäuer Team feierte Müller seinen ersten Podiumsplatz in der DTM, kurz darauf folgte der erste Sieg. Im vergangenen Jahr mischte er bis zum vorletzten Rennwochenende um den Titel mit, in dieser Saison gehörte er zu den drei Fahrern, die das Geschehen in der DTM dominierten.
Analyse: auch aus Fehlern lernen
Dennoch läuft es auch bei Müller nicht immer wie das sprichwörtliche Schweizer Uhrwerk: Im Juli 2019 kam es im Sonntagsrennen auf dem Norisring in der ersten Runde zur unglücklichen Kollision mit Markenkollegen René Rast. „Das war dämlich von mir“, gab Müller ehrlich zu. Auch am Nürburgring hatte er 2019 ein harziges Wochenende, das ihn um die noch verbliebenen Titelchancen brachte: Frühstart am Samstag, verpatztes Qualifying am Sonntag. „Aber auch dann setzt er sich hin, analysiert, und versucht, daraus zu lernen“, weiß sein Teamchef.Überhaupt, die Analyse. Eine Disziplin, die Müller gut beherrscht, wie Abt-Teamkollege Robin Frijns aus eigener Beobachtung bestätigt: „Er verbringt sehr viel Zeit vor dem Computer, während ich mir diese Kurven und Grafiken nie länger als eine Stunde ansehen kann.“ Frijns und Müller verbindet mittlerweile eine Freundschaft, im vergangenen Jahr fuhren sie sogar zusammen in den Sommerurlaub. Sie kennen sich bereits aus gemeinsamen Tagen im Formelsport: „Dort haben wir aber nie wirklich miteinander gesprochen. Das änderte sich, als wir bei Audi im GT-Sport erstmals gemeinsam unterwegs waren“, sagt Frijns. „Er hat einen recht trockenen Humor, was er vielleicht ein bisschen von mir gelernt hat. Es braucht eine Weile, aber wenn man ihn kennt, kann man wirklich Spaß mit ihm haben!“
Der Kampf um die DTM-Krone: zwischen Frustration und Hauptgewinn
Frijns beschreibt Müller als „sehr korrekt, immer pünktlich. Das ist wohl eine typische Schweizer Eigenschaft. Er bleibt auch fast immer gelassen, flippt nahezu nie aus, auch wenn er dazu einen Anlass hätte. Da ist er anders als ich. Die Situation mit dem Funk in Zolder war da wohl eher eine Ausnahme, das war eher untypisch.“ Da spielte vielleicht auch eine gewisse Frustration mit, denn die beiden Rennwochenenden in Zolder waren für Müller schwierig. „Es läuft alles gegen uns“, sagte er ins Mikrofon von TV-Sender SAT.1.Dennoch: Platz zwei im Sonntagsrennen des zweiten Zolder-Wochenendes war ein versöhnlicher Abschluss und so reist Müller mit intakten Titelchancen zum Saisonfinale nach Hockenheim. Egal, wie der Kampf um die DTM-Krone ausgeht: Einen Hauptgewinn hatte er bereits. Im August, pünktlich nach dem zweiten Lausitzring-DTM-Wochenende, wurden Müller und seine langjährige Partnerin Victoria zu stolzen Eltern eines Sohnes namens Fynn. „Ein unbeschreibliches Glück“, sagte Müller nach der Geburt. Manche behaupten, ein Kind mache einen Rennfahrer langsamer. Bei Müller ist davon keine Rede, wie seine Leistung auf der Strecke zeigt.
Nach der bislang stärksten DTM-Saison seiner Karriere geht Nico Müller mit guten Titelchancen ins Finale auf dem Hockenheimring. Sollte es ihm gelingen, den Titel einzufahren, wäre er der erste Schweizer Gesamtsieger der populären Rennserie. Mit aktuell neun Siegen ist der Audi-Werksfahrer ohnehin schon fast der erfolgreichste Eidgenosse. Nur Edoardo Mortara hat einen Sieg mehr auf seinem Konto. Gewinnt Müller einmal in Hockenheim, würde er mit dem Italo-Franco-Schweizer gleichziehen.