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DTM
05.11.2020

Nico Müller – analytischer Herausforderer, Typ: smarter Schwiegersohn

Scharfer Verstand, eloquentes Auftreten, ein in sich ruhender Racer: Nico Müller ist nicht nur ein Vorzeige-Athlet, er ist auch PR-Managers Liebling. Doch hin und wieder zeigt der Schweizer seine Ecken und Kanten. Bei Funk-Tiraden in Richtung Markenkollegen. Oder bei wohlmeinenden Respektsbekundungen mit ausgestrecktem Mittelfinger. Wer Müller nur nach seinem smarten Äußeren beurteilt, springt zu kurz. Ein Porträt eines modernen Motorsportlers.


Laut? Nur in Ausnahmefällen

Müller wirkt eher als ruhiger Zeitgenosse. Er ist keiner, der gern laute Sprüche von sich gibt. Aber er kann auch anders, wie sein Ausraster am Boxenfunk im Sonntagsrennen am zweiten Zolder-Wochenende zeigte. Als ihm Audi-Markenkollege Jamie Green das Leben auf der Strecke schwer machte, äußerte Müller über Funk unmissverständlich seinen Unmut über das Fahrverhalten des Briten. „Das passiert bei Nico nicht oft, aber wenn ihm etwas nicht passt, dann sagt er es auch“, weiß Thomas Biermaier, Chef des Audi Sport Team Abt Sportsline, für das Müller seit 2016 in der DTM an den Start geht.

Besonders seit seinem Wechsel von der Rosberg-Mannschaft ins Abt-Team zeigt Müllers Formkurve in der Serie nach oben. Biermaier: „Nico braucht ein ruhiges, gefestigtes Umfeld, damit er sich wohl fühlt und seine beste Leistung abrufen kann. Das findet er seit Jahren bei uns.“ Bereits beim ersten Auftritt für das Allgäuer Team feierte Müller seinen ersten Podiumsplatz in der DTM, kurz darauf folgte der erste Sieg. Im vergangenen Jahr mischte er bis zum vorletzten Rennwochenende um den Titel mit, in dieser Saison gehörte er zu den drei Fahrern, die das Geschehen in der DTM dominierten.


Analyse: auch aus Fehlern lernen

Dennoch läuft es auch bei Müller nicht immer wie das sprichwörtliche Schweizer Uhrwerk: Im Juli 2019 kam es im Sonntagsrennen auf dem Norisring in der ersten Runde zur unglücklichen Kollision mit Markenkollegen René Rast. „Das war dämlich von mir“, gab Müller ehrlich zu. Auch am Nürburgring hatte er 2019 ein harziges Wochenende, das ihn um die noch verbliebenen Titelchancen brachte: Frühstart am Samstag, verpatztes Qualifying am Sonntag. „Aber auch dann setzt er sich hin, analysiert, und versucht, daraus zu lernen“, weiß sein Teamchef.

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Überhaupt, die Analyse. Eine Disziplin, die Müller gut beherrscht, wie Abt-Teamkollege Robin Frijns aus eigener Beobachtung bestätigt: „Er verbringt sehr viel Zeit vor dem Computer, während ich mir diese Kurven und Grafiken nie länger als eine Stunde ansehen kann.“ Frijns und Müller verbindet mittlerweile eine Freundschaft, im vergangenen Jahr fuhren sie sogar zusammen in den Sommerurlaub. Sie kennen sich bereits aus gemeinsamen Tagen im Formelsport: „Dort haben wir aber nie wirklich miteinander gesprochen. Das änderte sich, als wir bei Audi im GT-Sport erstmals gemeinsam unterwegs waren“, sagt Frijns. „Er hat einen recht trockenen Humor, was er vielleicht ein bisschen von mir gelernt hat. Es braucht eine Weile, aber wenn man ihn kennt, kann man wirklich Spaß mit ihm haben!“


Der Kampf um die DTM-Krone: zwischen Frustration und Hauptgewinn

Frijns beschreibt Müller als „sehr korrekt, immer pünktlich. Das ist wohl eine typische Schweizer Eigenschaft. Er bleibt auch fast immer gelassen, flippt nahezu nie aus, auch wenn er dazu einen Anlass hätte. Da ist er anders als ich. Die Situation mit dem Funk in Zolder war da wohl eher eine Ausnahme, das war eher untypisch.“ Da spielte vielleicht auch eine gewisse Frustration mit, denn die beiden Rennwochenenden in Zolder waren für Müller schwierig. „Es läuft alles gegen uns“, sagte er ins Mikrofon von TV-Sender SAT.1.

Dennoch: Platz zwei im Sonntagsrennen des zweiten Zolder-Wochenendes war ein versöhnlicher Abschluss und so reist Müller mit intakten Titelchancen zum Saisonfinale nach Hockenheim. Egal, wie der Kampf um die DTM-Krone ausgeht: Einen Hauptgewinn hatte er bereits. Im August, pünktlich nach dem zweiten Lausitzring-DTM-Wochenende, wurden Müller und seine langjährige Partnerin Victoria zu stolzen Eltern eines Sohnes namens Fynn. „Ein unbeschreibliches Glück“, sagte Müller nach der Geburt. Manche behaupten, ein Kind mache einen Rennfahrer langsamer. Bei Müller ist davon keine Rede, wie seine Leistung auf der Strecke zeigt.

Nach der bislang stärksten DTM-Saison seiner Karriere geht Nico Müller mit guten Titelchancen ins Finale auf dem Hockenheimring. Sollte es ihm gelingen, den Titel einzufahren, wäre er der erste Schweizer Gesamtsieger der populären Rennserie. Mit aktuell neun Siegen ist der Audi-Werksfahrer ohnehin schon fast der erfolgreichste Eidgenosse. Nur Edoardo Mortara hat einen Sieg mehr auf seinem Konto. Gewinnt Müller einmal in Hockenheim, würde er mit dem Italo-Franco-Schweizer gleichziehen.


Drei Fragen an ... Nico Müller


Nach einem sehr starken Saisonverlauf hattest du es vor allem in Zolder schwer. Dennoch zeigte die Formkurve zuletzt mit Platz zwei wieder nach oben. Wie planst du, diesen Trend für Hockenheim fortzuschreiben?
Nico Müller: „In den ersten zwei Dritteln der Saison war die Performance sehr gut. Wir waren an allen Wochenenden sehr stark und haben Rennen gewonnen. Am Nürburgring wurde unser Lauf dann etwas gebrochen, zunächst mit dem technischen Problem am ersten Wochenende und danach, als ich umgedreht wurde. In Zolder fehlte uns erstmals Performance im Qualifying. Wenn man weiter hinten startet, kann schneller etwas schiefgehen. Auch wenn die Performance gut genug war, um noch aufs Podium zu fahren, gab es den einen oder anderen Rückschlag. René Rast hat das perfekt ausgenutzt und viele Punkte gesammelt. Wir haben aber gezeigt, dass wir uns, auch wenn es schwierig ist, gut aus der Affäre ziehen können. Das Sonntagsrennen am zweiten Zolder-Wochenende ist dafür ein sehr gutes Beispiel: Wir waren zwar nicht in der Lage, zu gewinnen, aber wir haben das Maximale herausgeholt. Für Hockenheim bin ich sehr zuversichtlich. Das ist eine Strecke, die wir gut kennen. Ich fühle mich dort pudelwohl, und ich glaube, dass wir bestens gerüstet sind. Im Vorjahr habe ich das Finale gewonnen, ich habe meine erste DTM-Pole-Position dort geholt. Ich weiß, dass wir es können. Wir werden uns auf unsere Stärken fokussieren und als Team alles dafür geben, dass wir den Rückstand aufholen können. Wir werden voll angreifen und können hoffentlich den Kampf noch zu unseren Gunsten entscheiden.“

Auch im Vorjahr hattest du auch noch lange Chancen im Titelkampf. Wie wirst du jetzt an das Finale herangehen?
Nico Müller: „Da fiel die Entscheidung am Nürburgring, wo wir ein suboptimales Wochenende hatten. Damals fuhr ich als Zweitplatzierter der Meisterschaft nach Hockenheim und konnte mir da noch den Vizetitel sichern. Dafür ist die Ausgangslage in diesem Jahr deutlich besser. Wir haben mehr als nur intakte Chancen. Der Rückstand ist zwar groß, aber man hat schon sehr oft gesehen, dass solche Lücken noch zugefahren wurden und der Verfolger am Ende doch der glückliche Sieger war. Wir sind jetzt die Verfolger und werden alles dafür geben, diese 19 Punkte aufzuholen.“

Wie 2019 ist René Rast dein härtester Gegner im Titelkampf. Was sind aus deiner Sicht seine Stärken und Schwächen?
Nico Müller: „Zu Renés Stärken gehört sicherlich, und besonders in diesem Jahr, dass er in der Lage ist, in Situationen, in denen er nicht um den Sieg fährt, trotzdem das Maximale herauszuholen. Gerade in der Saison, in der wir drei Titelaspiranten über weite Strecken dominiert haben, war es ihm dadurch immer noch möglich, aufs Podium zu fahren, viele Punkte zu holen und so weiterhin im Titelkampf mitzumischen. Und wenn es für ihn lief, hat er es auch geschafft, das Potenzial zu maximieren. Seine Schwäche war speziell in dieser Saison wohl das Reifenmanagement. Da waren wir klar einen Schritt besser.“