Sie überquerten die Ziellinie nach einem problemlosen Dauersprint zweimal um die Uhr mit einem Vorsprung von einer Runde auf den Zweitplatzierten der Klasse GTE. Auf den Tag genau 50 Jahre nach dem ersten realen Gesamtsieg von Porsche bei dem Klassiker knüpft das Quartett damit an den Erfolg von Hans Herrmann und Richard Attwood an. Das deutsch-britische Duo hatte am 14. Juni 1970 die 24 Stunden von Le Mans mit dem 917 KH gewonnen. Bis heute konnte sich Porsche insgesamt 19 Mal in die Gesamtsiegerliste des Langstrecken-Saisonhöhepunkts eintragen, so oft wie kein anderer Autohersteller. Das reale 24-Stunden-Rennen wurde aufgrund der Corona-Pandemie auf den 19./20. September 2020 verschoben.
Porsche hatte das digitale Event mit vier virtuellen 911 RSR in Angriff genommen. Alle Autos waren mit jeweils zwei realen Rennfahrern und zwei Esport-Profis des Teams Coanda Simracing besetzt. Schon in der Anfangsphase entpuppte sich die Besatzung des Nummer-93-Autos als besonders konkurrenzfähig. Nach einem starken Start des 88er Porsche 911 RSR des Teams Dempsey-Proton übernahm Öst-gaard von Tandy – dem Le-Mans-Gesamtsieger von 2015 – das Cockpit und nach gut vier Stunden auch die Führung. Mit bemerkenswert konstanten Vorstellungen bauten auch Güven und Rogers den Vorsprung weiter aus und ließen sich selbst von zwei Rennunterbrechungen aufgrund technischer Probleme mit der Server-Struktur des Events nicht aufhalten. Der 20-jährige Rogers drehte gegen 6.15 Uhr im Morgengrauen in 3:48,203 Minuten zudem die schnellste Rennrunde der Klasse GTE.
Eine Podiumsplatzierung hatte auch der Porsche 911 RSR mit der Startnummer 92 fest im Blick, bevor das Auto von Werksfahrer Matt Campbell, Porsche-Junior Jaxon Evans (beide Australien), Mack Bakkum (Niederlande) und Jeremy Bouteloup (Frankreich) knapp eine Stunde vor dem Rennende einem Verbindungsfehler mit dem Server zum Opfer fielen. Sie erreichten das Ziel noch auf GTE-Rang 11.
Ebenfalls ein Kandidat für eine Top-3-Platzierung war das Nummer-91-Auto, das sich die beiden Porsche Formel E-Werksfahrer André Lotterer (Deutschland) und Neel Jani (Schweiz) mit dem US-Amerikaner Mitchell de Jong und dem Finnen Martti Pietilä teilten. Kurz vor Beginn des letzten Renndrittels kostete ein Server-Problem bei einem Fahrerwechsel wertvolle Zeit, nachdem sie bis in die Morgenstunden zu den Top vier gehörten. Für sie endete das digitale Le Mans auf Platz zwölf.
Kein Glück hatten die Werksfahrer Simona de Silvestro (Schweiz) und Patrick Pilet (Frankreich) sowie die Simracer Martin Krömke (Deutschland) und David Williams (Großbritannien). De Silvestro wurde nach nur 30 Minuten unverschuldet in einen Unfall verwickelt und fiel weit zurück. Ein Dreher von Pilet ins Kiesbett zur Rennhalbzeit besiegelten das vorzeitige Aus.
Fritz Enzinger (Leiter Porsche Motorsport): „Auch in der virtuellen Rennwelt haben uns eine akribische Vorbereitung und volle Konzentration über mehr als 24 Stunden zu einem großartigen Erfolg verholfen. Mein herzlicher Glückwunsch geht an Marco Ujhasi, die Fahrer und das gesamte Porsche Esports Team.“
Pascal Zurlinden (Gesamtprojektleiter Werksmotorsport): „Das war ein traumhaftes Wochenende für Porsche – wie könnten wir den 50. Geburtstag des ersten Gesamtsiegs von Porsche in Le Mans besser feiern, als mit einem GTE-Sieg bei der Debütausgabe des virtuellen 24-Stunden-Rennens? Herzlichen Glückwunsch an alle Fahrer und insbesondere an die Crew des 911 RSR mit der Startnummer 93. Vielen Dank auch an das noch junge Porsche Esports Team. Die harte Arbeit der vergangenen Tage und Wochen hat sich ausgezahlt. Unsere Glückwünsche gehen auch an den ACO und die WEC für ein tolles Event, das sie innerhalb von wenigen Wochen auf die Beine gestellt haben. Etwas Besseres hätten sich die Langstrecken-Fans am ursprünglich geplanten realen Le-Mans-Termin kaum wünschen können. Diese Veranstaltung hat uns noch hungriger auf das in den September verschobene reale Rennen gemacht.“
Marco Ujhasi (Manager Esports Porsche Motorsport): „Ich bin besonders stolz, dass wir heute als Porsche Esports Team gewinnen konnten. Die Geschichte dahinter hat für mich und viele andere schon vor Jahren begonnen: 2013 gewannen wir in Le Mans mit dem 911 RSR, da hat der Porsche 911 seinen 50. Geburtstag gefeiert. 2018 fiel der Sieg mit ,70 Jahre Porsche Sportwagen‘ zusammen. Und jetzt, auf den Tag genau ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Gesamtsieg von Porsche in Le Mans, konnten wir den GTE-Sieg bei dieser ersten virtuellen Ausgabe erkämpfen. Das haben nicht nur die vier Fahrer der Startnummer 93 erreicht, sondern ein gut 30-köpfiges Team. Auch unseren Partnern für dieses Rennen – Coanda Simsport und Peter Dimov, dem Gründer der Virtual Racing School – verdanken wir diesen großen Erfolg. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich. Und jetzt feiern wir. Ganz real.“
Nick Tandy (Porsche 911 RSR #93): „Dieser Erfolg ist Balsam für die Seele. Es liegen unheimlich schwierige Monate hinter uns allen. Die lange Zeit ohne echten Rennsport war und ist eine Belastung für alle bei Porsche Motorsport, für die Fans und für uns Fahrer. Da war das virtuelle 24-Stunden-Rennen von Le Mans eine tolle Initiative, den Rennsport wieder aufleben zu lassen. Exakt an diesem Tag vor fünf Jahren habe ich als Gesamtsieger in Le Mans auf der obersten Stufe des Siegerpodests gestanden. Nun der Triumph im virtuellen Rennen, besser geht es kaum!“
Ayhancan Güven (Porsche 911 RSR #93): „Vor allem in der letzten Stunde waren meine Nerven ganz schön angespannt, ich konnte kaum noch zuschauen. Aber es ist ja alles gutgegangen. Der Sieg fühlt sich großartig an, zumal wir enorm anstrengende Wochen der Vorbereitungen hinter uns haben. Das perfekte Teamwork hat sich ausgezahlt, wir haben den Sieg verdient. Wir waren definitiv im gesamten Rennen das schnellste GTE-Fahrzeug im Feld. Mein erster Erfolg in Le Mans ist ein virtueller – hoffentlich darf ich irgendwann auch am realen Rennen teilnehmen.“
Joshua Rogers (Porsche 911 RSR #93): „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll – wir haben in den vergangenen Wochen so viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt. Das ist eine riesige Team-Leistung. Unser Wochenende begann bereits mit der Poleposition sehr gut. Dadurch konnten wir uns zu Rennbeginn aus dem Trubel heraushalten und mussten danach nur noch unsere Runden abspulen. Wir konnten Fehler auch im Überholverkehr vermeiden und haben versucht, einen möglichst großen Vorsprung herauszufahren. Unsere Strategie ist voll aufgegangen.“
Tommy Östgaard (Porsche 911 RSR #93): „Ein unglaubliches Rennen! Vom Start bis zur Zieldurchfahrt lief es für uns perfekt – obwohl beide Rennabbrüche uns auf dem falschen Fuß erwischt haben. Aber wir waren auf diese Situationen vorbereitet und sind cool geblieben. Alle bei Porsche und Coanda Simsport haben sich unheimlich engagiert, um diesen Erfolg möglich zu machen. Wir waren das schnellste Auto auf der Strecke und haben uns keine Fehler erlaubt. Porsche hat damit einmal mehr Motorsporthistorie geschrieben und ich bin unheimlich stolz, ein Teil davon gewesen sein zu dürfen.“
Jaxon Evans (Porsche 911 RSR #92): „Das war vom ersten Tag unserer gut vierwöchigen, intensiven Vorbereitung bis zur letzten Rennrunde eine tolle Veranstaltung! Ich habe es als Privileg gesehen, für das Porsche Esports Team teilnehmen zu dürfen. Wir wussten, dass wir stark genug für eine Podiumsplatzierung sein würden, doch dann kam der Sonntagnachmittag mit einem Netzwerkproblem. Es war nicht einfach, das Chaos mit kühlem Kopf zu meistern und den Kampf wieder aufzunehmen. Ein großes Dankeschön an meine Fahrerkollegen und alle, die im Hintergrund an dieser Veranstaltung mitgewirkt haben!“
André Lotterer (Porsche 911 RSR #91): „Ich habe mich über die Teilnahme an den virtuellen 24 Stunden von Le Mans wirklich gefreut und war beeindruckt von der Realitätsnähe und dem neuen Porsche Esports Team. Es hat wirklich top professionell gearbeitet. Ich habe aus der Esports-Welt einiges gelernt. Leider lief es für uns nicht ganz so gut, weil uns ein paar Aussetzer der Sim-Plattform einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Eine Podiumsplatzierung hätte in Reichweite gelegen. Das Fahren hat echt Spaß gemacht, auch wenn es ab und zu nicht ganz so einfach war. Ich glaube, ich würde es noch einmal machen.“
Simona de Silvestro (Porsche 911 RSR #94): „Wir sind gut ins Rennen gekommen, aber leider hat mich ein ehemaliger Formel-1-Weltmeister nach nur rund 30 Minuten von der Strecke befördert. Die fällige Reparatur kostete gut eineinhalb Minuten. In der Nacht tobte in meiner Schweizer Heimat ein starkes Gewitter. Die Folge: Meine Internetverbindung brach ab, ich brauchte fünf Minuten, um wieder auf den Server zu kommen. Wir lagen weit hinten, als Patrick mit dem Auto im Kies landete und festsaß. Leider gibt es in der Simulation keine virtuellen Bergungsfahrzeuge, unser Rennen war somit frühzeitig beendet – sehr schade.“
Ergebnis LMP2-Klasse
1. Deletraz/Marciello/Wisniewski/Brzezinski (CH/I/POL/POL), Oreca 07 LMP2, 371 Runden2. Dillmann/Guerrieri/Simoncic/Pedersen (F/ARG/SLO/DK), Oreca 07 LMP2, 371 Runden
3. Canapino/Aitken/Arana/Romanidis (ARG/GB/E/GR), Oreca 07 MP2, 371 Runden
Ergebnis GTE-Klasse:
1. Tandy/Güven/Rogers/Östgaard (GB/TR/AUS/N), Porsche 911 RSR, 339 Runden2. Thiim/Westbrook/Sörensen/Biancolilla (DK/GB/DK/I), Aston Martin Vantage, 338 Runden
3. Juncadella/Beche/Jajovski/Kappet (E/CH/NMK/EST), Corvette C7.R, 337 Runden