FIA WEC
04.11.2021
Porsche-Siegerauto erstrahlt nach schneller Revision in neuem Glanz
Am Sonntagmorgen gehen um 9:30 Uhr die Garagentore des Porsche GT Teams auf. Im Inneren der Box stehen die zwei 911 RSR, die deutlich sichtbare Spuren vom intensiven Wettbewerb des Vortages tragen. Die Karosserie ist übersät mit schwarzen Strichen, die umherfliegende Gummiteile hinterlassen haben. An der linken Seite der Startnummer 92 weist ein roter Streifen auf einen leichten Kontakt mit einem anderen Fahrzeug hin. Nach einer kurzen Teambesprechung beginnt die Mannschaft des Einsatzteams Manthey um 10:00 Uhr mit der Revision der beiden Autos. „Die Deinstallation von Karosserie, Aufhängungen und des gesamten Antriebsstrangs ist in rund 40 Minuten erledigt. Am Auto bleiben nur der Tank, die Elektronik und alle Komponenten des Innenraums“, beschreibt Tobias Hansonis, Crew Chief im Porsche GT Team. „Alle Teile werden gereinigt und einer Sichtprüfung unterzogen.“
Werden bei diesem Prozess bereits erste Beschädigungen entdeckt, kommen die Spezialisten des Teams ins Spiel. Im hintersten Bereich der Box wartet Ulrich Pashaus an zwei großflächigen Arbeitstischen. „Sollten Defekte auftreten, stellt sich die Frage, ob wir das Teil komplett austauschen oder ob es reparabel ist“, erklärt der Fachmann für sogenannte Composite-Bauteile. Der amtierende Karnevalsprinz von Aegidienberg, einem Stadtbezirk von Bad Honnef, ergänzt: „Wir haben Karbonmaterial dabei. Ich rühre Harz an und laminiere die neuen Schichten auf das defekte Bauteil. Das Aushärten der neuen Karbonschicht geht im Klima von Bahrain relativ schnell. Wenn ich dann sogar noch einen Fön zur Hand nehme oder die Komponenten in den Ofen gebe, dann ist nach nur zwei Stunden die gewünschte Härte erreicht.“ Pashaus sorgt an seinem Arbeitsplatz dafür, dass die beiden Porsche 911 RSR zum letzten Rennen der Saison wieder in einem makellosen Gewand auf die Strecke gehen.
Wenige Meter weiter ist Kevin Panter der Ansprechpartner für Austauschkomponenten. „Wir haben ungefähr 5.000 verschiedene Ersatzteile dabei“, schildert er und blickt dabei auf zahlreiche, bestens sortierte Baugruppen, die in kürzester Zeit als Komplettpaket in den rund 515 PS starken Neunelfern installiert werden können. Das gesamte Material wurde in sechs großen Kisten nach Bahrain transportiert. Die meisten Ersatzteile sind zweifach vorrätig, andere stehen in deutlich größerer Zahl zur Verfügung. „Den meisten Verschleiß haben wir im Bereich der Schleifplatten am vorderen Unterboden. Oft müssen wir diese nach nur einem Training austauschen. Die Fahrten über Randsteine oder auch harte Bodenwellen hinterlassen deutliche Spuren“, beschreibt Panter. Ursprünglich bestanden die Schleifplatten aus Holz, die neueste Version wird aus einem Zwei-Komponenten-Material gefertigt. Dennoch bleibt ihre Abnutzung unvermeidlich.
In der Garage sind die Fahrzeuge inzwischen „gestrippt“: Alle Anbauteile sind entfernt und reihen sich ordentlich sortiert vor der Box in der Sonne auf. Zwei Mechaniker liegen unter der Startnummer 91 und lösen mehrere Schrauben. Zwei weitere Mitarbeiter fahren die Karosserie wenig später per Lufthebeanlage auf ein stabiles Gestell. Der gesamte Antriebsstrang verharrt auf einem fahrbaren Hubwagen und wird unter dem Auto als Ganzes herausgezogen. Wenig später haben zwei Fachleute das Triebwerk von Kupplung und Getriebe getrennt. Die einzelnen Baugruppen werden genauestens auf Beschädigungen und Verschleiß überprüft. „Unsere Komponenten sind für eine Laufzeit von 30 Stunden ausgelegt, danach erfolgt generell ein Service. Nach 60 Stunden wird die Schalteinheit komplett überholt“, berichtet Getriebespezialist Tobi Böller, der bei der Siegerzeremonie am vergangenen Samstag stellvertretend für die gesamte Mannschaft mit auf das Podium stieg. „Nach einem Rennen über sechs Stunden sollte kein Defekt auftreten, aber wir überprüfen es dennoch ganz genau. Hier und dort kann etwas Spiel entstanden sein, das wir dann beheben.“
Neben der Getriebeabteilung ist es laut. Ein immer wiederkehrendes Stampfen erinnert nahezu an ein Dampfschiff auf großer Fahrt: Juan Verpoorten hat seinen Prüfstand für Stoßdämpfer in Betrieb. „Wenn die Dämpfer nach einem Rennen zu mir in die Abteilung kommen, sind sie meistens erst einmal pechschwarz“, berichtet er: Die Aufhängungskomponenten sind mit Gummipartikeln – dem sogenannten „Pickup“ – übersät. „Ich reinige den Dämpfer und zerlege ihn in alle Einzelteile. Wenn keine Schäden erkennbar sind, füge ich alles wieder zusammen. Anschließend kommt der Dämpfer auf den Prüfstand, den wir immer dabei haben. Dort zeigt sich, ob die Kennlinien immer noch perfekt stimmen. Wenn nicht, dann tauschen wir das Element natürlich aus. Wir haben pro Rennen jeweils drei Sätze Dämpfer pro Auto im Gepäck. Für den Doubleheader in Bahrain haben wir noch einen zusätzlichen Satz eingepackt.“ Die Dämpfer im Porsche 911 RSR werden nach 30 Stunden Laufzeit in eine umfangreiche Wartung gegeben, nach 90 Betriebsstunden haben sie ihr Lebensende erreicht.
„Wir wissen schon vor den jeweiligen Rennen, welche Teile nach der Veranstaltung an der Laufzeitgrenze sind und somit ausgetauscht werden müssen. Das bereiten wir immer schon vor“, erklärt Crew Chief Tobias Hansonis. Auf Grundlage dieser Laufzeitlisten arbeiten die Mechaniker ein genau definiertes Programm bei der Wartung der Fahrzeuge ab. Um jedes Auto kümmern sich fünf Fachleute, ein weiterer Mechaniker steht für Zusatzaufgaben parat. „Wenn wir ein Rennen haben wie am vergangenen Samstag, das ohne größere Kontakte und Zwischenfälle verläuft, dann geht die Runderneuerung der Fahrzeuge wirklich zügig. Das freut uns natürlich immer“, schmunzelt Hansonis. Der Plan für Bahrain: Bereits am Dienstag sollen die beiden Porsche 911 RSR wie Neuwagen in der Garage bereitstehen. Anschließend folgen Setup-Arbeiten, bevor die Boliden am Donnerstag zum ersten Freien Training wieder auf die Strecke fahren.