Samstag, 21. Dezember 2024
Motorsport XLDas Motorsport MagazinVorschau Abonnement
FIA Formel E
04.08.2023

Florian Modlinger: „Wir haben uns dieses Jahr als Topteam etabliert“

In seiner bisher erfolgreichsten Saison holte das TAG Heuer Porsche Formel-E-Team vier Siege mit dem Porsche 99X Electric. Die Mannschaft aus Weissach kämpfte bis zum letzten Saisonrennen in London um den Weltmeistertitel. „Wir sind als Team stärker geworden“, sagt Florian Modlinger, Gesamtprojektleiter Formel E, im Interview. „Im Vergleich zum Vorjahr haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht und uns unter den Topteams etabliert.“

Die Saison 9 der ABB FIA Formel-E-Weltmeisterschaft war spannend bis zum Schluss. Erst beim Saisonfinale in London wurden am vergangenen Wochenende die Weltmeister gekürt. Dabei hatte auch Porsche Grund zur Freude: Mit dem in Weissach entwickelten Porsche 99X Electric krönte sich Jake Dennis vom Porsche-Kundenteam Avalanche Andretti nach einer überragenden Saison zum Weltmeister.

Florian, ihr habt in dieser Saison vier Siege geholt und bis zum Schluss um den Weltmeistertitel gekämpft. Wie sieht deine Saisonbilanz aus?
„Für Porsche war es eine erfolgreiche Saison, weil wir mit dem Porsche 99X Electric ein siegfähiges Fahrzeug entwickelt haben und als Team im Vergleich zum Vorjahr stärker geworden sind. Wir sind zu einem Topteam herangewachsen. Mit vier Siegen haben wir uns in der Spitze festgesetzt. Trotzdem haben wir letztendlich nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen hatten und was erreichbar gewesen wäre. Wir werden das alles sauber analysieren und versuchen, die Potentiale zu heben, um in der Saison 10 noch einen Schritt nach vorne zu machen.“

Wie groß ist die Enttäuschung, dass es trotz guter Voraussetzungen zu keinem Weltmeistertitel gereicht hat? Was waren die Ursachen?
„Ausschlaggebend war letztlich die Qualifying-Performance speziell an den beiden letzten Rennwochenenden in Rom und vor allem in London. Unsere Rennperformance war sehr gut, wie wir im ersten Rennen in London wieder gesehen haben, als António sensationell vom 17. Startplatz auf P2 gefahren ist. In der Team- und in der Fahrerweltmeisterschaft nur Platz vier erreicht zu haben, ist zweifelllos eine Enttäuschung, wenn man bedenkt, dass wir die Teamweltmeisterschaft die meiste Zeit angeführt haben und nur zeitweise auf Platz zwei zurückgefallen waren. Für uns wäre in dieser Saison deutlich mehr möglich gewesen.“

Wenn du auf die Saison zurückblickst – was waren die Highlights?
„Da fällt mir die starke Mannschaftsleistung in Hyderabad ein. Trotz des schweren Trainingsunfalls von Pascal haben wir im Rennen P3 und P4 erkämpft. Das war ein sensationeller Erfolg. Höhepunkte waren natürlich auch unsere Siege. Ich denke da vor allem an Kapstadt, wo António mit einer sensationellen Aufholjagd und spektakulären Überholmanövern seinen ersten Sieg als Porsche-Werksfahrer holte. Und an Jakarta, wo Pascal mit einem beherzten und fehlerfreien Rennen gezeigt hat, was er zu leisten imstande ist. Der Double Header in Diriyah war für Pascal sensationell. Beide Rennen auf dieser Strecke so zu dominieren und zu gewinnen, war in meinen Augen faszinierend.“

An was erinnerst du dich nicht so gerne?
„Die größte Enttäuschung war sicherlich das erste Rennen beim Saisonfinale in London. Da waren beide Fahrer auf dem Weg zu einem Podiumsplatz. Doch dann wurde Pascal von einem Konkurrenten aus dem Rennen genommen, und António flog wegen einer unverständlichen Strafe vom Podium. Nach einer so extrem starken Mannschaftsleistung den Tag nur mit Platz 9 zu beenden, war schon sehr bitter.“ 

Nach einer Überlegenheit in den ersten Saisonrennen mit dem neuen Porsche 99X Electric konntet ihr den erarbeiteten Vorsprung nicht halten. Warum?
„Diese Überlegenheit war nicht wirklich da. Jaguar und Envision Racing waren performancemäßig auf Augenhöhe, haben in den ersten Rennen aber viele Punkte liegenlassen. Wir haben am Anfang keine Fehler gemacht und die Punkte mit nach Hause genommen. Das hat sich im weiteren Saisonverlauf umgekehrt, als uns Reifenschäden und Kollisionen zurückwarfen und es auf Strecken ging, auf denen wir unsere Qualifying-Performance nicht umsetzen konnten. Da waren andere einfach stärker, das muss man anerkennen. Doch unser Paket war die ganze Saison über konkurrenzfähig, wie Jake Dennis von unserem Kundenteam Avalanche Andretti mit dem Gewinn des Weltmeistertitels speziell in den letzten Rennen gezeigt hat.“

Warum hat es für Pascal trotz drei Siegen nicht zum Titelgewinn gereicht?
„Pascal war der einzige Fahrer, der in dieser Saison nur einen Nuller hatte und sonst bei allen Rennen in den Punkten war. Doch er hat zu wenige „Big Points“ gemacht. Er hat zwar drei Rennsiege, doch was Podiums und Top-Fünf-Platzierungen betrifft, war er nicht ganz vorne dabei. Er hat oft auf den Plätzen sechs bis zehn gepunktet, und das war bei der enormen Leistungsdichte im Feld zu wenig. Keiner war öfter in den Punkten als er, doch er war nicht immer weit genug vorne. Wir müssen deshalb daran arbeiten, künftig noch öfter die „Big Points“ mit nach Hause zu nehmen, also Podiumsplatzierungen und Top-Fünf-Ergebnisse. Die Grundlage hierfür ist, in der Startaufstellung weiter vorne zu stehen.“

Euer Kundenteam Avalanche Andretti hat zwei Rennen und mit Jake Dennis im Porsche 99X Electric die Fahrerweltmeisterschaft gewonnen. Was sagst du zu dieser Leistung?
„Avalanche Andretti und Jake Dennis haben das Paket, das wir ihnen zur Verfügung gestellt haben, maximal genutzt. Dazu herzlichen Glückwunsch. Wir sind stolz darauf, dass sie diese Erfolge mit unserem Porsche 99X Electric erreicht haben. Sie hatten einen starken Saisonstart und sind nach einem Durchhänger sensationell zurückgekommen. Die zwei Siege und insgesamt elf Podiumsplatzierungen sprechen für sich. Das Team und vor allem Jake haben eine extrem starke Leistung gezeigt.“

Wie ist die Zusammenarbeit mit Avalanche Andretti in eurer ersten gemeinsamen Saison gelaufen? Wie hat Porsche davon profitiert?
„Die Kooperation mit Avalanche Andretti war gut. Beide Teams haben sich komplett eingebracht. Von Anfang an waren alle Daten, alle Setups verfügbar. Für uns war es hilfreich, nicht nur die Daten von zwei, sondern von vier Fahrzeugen analysieren und daraus die entsprechenden Erkenntnisse gewinnen zu können. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass sich ein Kundenteam voll darauf konzentrieren kann, das Fahrzeug im Rennen optimal einzusetzen, während wir als Hersteller die Verantwortung dafür tragen, das Paket ständig weiterzuentwickeln und die Legalität hinsichtlich des komplexen Systems sicherzustellen. Die deutlich höhere Arbeitslast liegt also bei den Herstellern. Von unserem Team wurde sie extrem gut gemeistert. Dafür möchte ich allen meinen persönlichen Dank aussprechen.“

Wie siehst du die Entwicklung der Formel E in dieser Saison mit den neuen Gen-3-Autos wie eurem Porsche 99X Electric?
„Für die Formel E war das eine sehr erfolgreiche Saison, mit einem attraktiven Kalender und spannenden Rennen. Die Zuschauer erlebten spektakuläres Racing, das auch im Fernsehen gut zu verfolgen war. Daran müssen wir anknüpfen und den Sport auch in der Breite weiter bekannt machen. Sportlich und technologisch wurden die Weichen für die Zukunft richtig gestellt, mit weiteren Klasseevents wie zum Beispiel Tokio, wo wir im nächsten Jahr erstmals fahren. Ich freue mich schon sehr auf die neue Saison.“

Wie sieht euer Fahrplan für die Off-Season aus? Wann beginnt die Vorbereitung auf die Saison 10?
„Es geht direkt weiter. Die Fahrzeuge kommen Ende dieser Woche zurück nach Weissach, wo sie zerlegt, wieder zusammengebaut und für die neue Saison vorbereitet werden. Parallel dazu gehen wir als Hersteller weiter testen, um das Paket zu optimieren. Und im Oktober steht ja schon wieder der offizielle Pre-Season-Test der Formel E in Valencia auf dem Programm. Es bleibt also nicht allzu viel Zeit, um mal richtig durchzuatmen.“

Porsche hat sein Formel-E-Engagement vorzeitig bis zur Saison 2025/2026 verlängert. Was bedeutet das für das Team?
„Dieses frühzeitige Commitment ist ein großer Vertrauensbeweis und bringt eine gewisse Stabilität mit sich. Wir können unsere Ressourcen auf die Zukunft ausrichten und sie richtig einsetzen. Letztlich ist es auch eine Motivation für die Mannschaft.“

In London wurde António Félix da Costa von den Stewards bestraft und verlor dadurch seinen zweiten Platz. Porsche hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt. Warum?
„António erlitt durch Trümmer auf der Strecke einen schleichenden Plattfuß, wodurch der vorgeschriebene Reifenmindestdruck unterschritten wurde. Der Schaden ist durch eine äußere Einwirkung entstanden, es war nicht unsere Schuld. Für uns ist diese Entscheidung unverständlich und nicht zu akzeptieren. Uns geht es in erster Linie um eine faire Gleichbehandlung im Sinne des Sports.“
Anzeige