Der Anfang der Turbo-Technologie von Porsche liegt in den USA
Sommer 1970. Porsche hatte mit dem 917 KH erstmals das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewonnen und peilte bereits eine weitere Herausforderung an: Siege in der nordamerikanischen CanAm-Serie. Doch der 917 stand mit seinem vergleichsweise kleinen, 580 PS starken 4,5-Liter-Zwölfzylinder einer hubraumgewaltigen US-Konkurrenz gegenüber. Pläne für einen 16-Zylinder entstanden. Parallel reifte aber auch die Idee, die notwendige Leistungssteigerung per Abgasturbolader zu erreichen. Problem: Das ständige Bremsen und Beschleunigen auf den winkligen Strecken der CanAm erforderte einen möglichst verzögerungsfrei hochdrehenden Turbolader. Die innovative Lösung: eine abgasseitige Ladedruckregelung verhindert im Teillast- oder Schubbetrieb unerwünschten Überdruck, indem sie überschüssige Auspuffgase über eine Entlastungsleitung („Bypass“) und ein Ventil („Wastegate“) nach außen leitet. Dies limitierte den Ladedruck und hielt ihn auf konstanter Höhe. Der Turbolader konnte kleiner ausfallen, die rotierenden Massen wurden geringer und das Ansprechverhalten besser.Ende Juli 1971 drehte ein offener 917/10 Spyder mit aufgeladenem Motor in Weissach erste Runden: Statt eines großen Laders hatte Porsche auf jeder Zylinderbank einen kleineren Turbo installiert. Dies verbesserte das Ansprechverhalten enorm und schüttete 850 PS aus. Die Weichen waren gestellt und der CanAm-Triumph fiel massiv aus: 1972 gewann das Porsche-Partnerteam Penske Enterprises sechs der neun Rennen, den CanAm Cup und mit George Follmer den Fahrertitel. Beim 917/30 Spyder mit 5,4 Liter Hubraum lagen 1973 sogar 1.100 PS an. Nur Reglementsänderungen konnten die Erfolgsserie von Porsche stoppen – den Siegeszug der Turbo-Technologie speziell im Motorsport hielten sie nicht auf.
Der Turbomotor revolutioniert Le Mans
Nach dem CanAm-Engagement setzte Porsche in Wettbewerbsversionen des 911 und in speziell entwickelten Prototypen weiter auf Turbo. Als erster Rennwagen mit Turbomotor in Le Mans drehte 1974 ein 911 Carrera RSR Turbo 2.1 beim Vortraining fauchend seine Runden. Sein 368 kW (500 PS) starker, 2,1 Liter großer Sechszylinder-Boxermotor verfügte bereits über Ladeluftkühlung: Die auf dem Weg vom Lader in die Brennräume gekühlte Luft ist dichter und enthält entsprechend mehr Sauerstoff. Er beendete das 24-Stunden-Rennen sensationell auf dem zweiten Gesamtrang. Erneut folgte der Technologietransfer in die Serie auf dem Fuß: Der 911 Turbo kam ab 1977 ebenfalls in den Genuss einer Ladeluftkühlung. Damit stieg die Leistung des Serienmodells auf 300 PS.Mit dem aufgeladenen 2,1-Liter-Motor gelangen die ersten beiden Gesamtsiege eines Turbo-Rennwagens in Le Mans: Der offene 936/76 Spyder leistete 1976 zunächst 382 kW (520 PS) und erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 360 km/h. Ein Jahr später triumphierte das 700-Kilogramm-Leichtgewicht – nunmehr mit zwei Ladern 397 kW (540 PS) stark – erneut. 1978 und 1979 verhinderten technische Probleme die Fortsetzung dieser Erfolgsserie. Doch Porsche lernte stets aus Niederlagen und bewies neben großem Ehrgeiz auch Durchhaltevermögen: 1981 trat der 936 Spyder mit nunmehr 456 kW (620 PS) nochmal in Le Mans an und verabschiedete sich mit einem dritten Sieg aus dem Werksteam.
Zwischendurch war 1979 dem Rennstall Kremer Racing der erste Le-Mans-Gesamtsieg mit einer Rennversion des 911 Turbo gelungen – dem 935. Schon damals bildete Kundensport das Fundament des Renn-Engagements von Porsche. Die Entwicklung dieses Fahrzeugs gipfelte 1978 im 935/78 „Moby Dick“, den allein das Werk einsetzte: Dessen 3,2-Liter-Biturbomotor besaß erstmals wassergekühlte Mehrventil-Zylinderköpfe und gab bis zu 621 kW (845 PS) ab.
Beginn einer besonderen Le-Mans-Epoche: Porsche 956 und 962 C
Sportprototypen des Typs Porsche 956 und 962 C haben zwischen 1982 und 1994 allein die 24 Stunden von Le Mans siebenmal gewonnen und damit eine einzigartige Erfolgsgeschichte geschrieben. Mit ihnen ging eine Revolution der aerodynamischen Gestaltung und viele weitere Innovationen einher, die sich heute in Serienfahrzeugen von Porsche widerspiegeln. So ermöglichte der Ground-Effect des speziell geformten Unterbodens sehr hohe Kurvengeschwindigkeiten, stabilisierte den Geradeauslauf und verkürzte Bremswege – eine Wirkung, die längst zahlreiche Serienmodellen auszeichnet. Auch bei der Entwicklung vollelektronischer Motorsteuerungen wie der Motronic von Bosch gelangen angesichts des Verbrauchslimits des damaligen Gruppe-C-Reglements große Effizienz-Fortschritte. Ebenfalls bahnbrechend: das Porsche Doppelkupplungsgetriebe PDK. Seit Herbst 1984 hatte die Rennabteilung mit dem System experimentiert, das sehr schnelle Gangwechsel praktisch ohne Zugkraftunterbrechung ermöglicht. Ab 1987 funktionierte es zuverlässig. Heute liefert der Sportwagenhersteller einen Großteil seiner Serienfahrzeuge mit PDK anstelle eines Schaltgetriebes aus. Unter dem Namen DSG hat es auch in weiten Teilen der Volkswagen Gruppe und bei anderen Autoherstellern seinen Siegeszug angetreten.Der 3,0 Liter große Biturbo-Sechszylinder des 962 C trieb auch den offenen TWR-Porsche WSC-Spyder an, den Joest Racing 1996 und 1997 zum Gesamtsieg in Le Mans führte. Zeitgleich setzte das Werksteam auf den Porsche 911 GT1. Dessen Sechszylinder-Boxertriebwerk war vor die Hinterachse gerückt. Sein 441 kW (600 PS) starker 3,2-Liter-Biturbomotor stellte eine technische Weiterentwicklung vor, die erst 1997 mit der 911-Generation 996 in die Serie einfloss: Er war vollständig wassergekühlt. 1998 fuhr der Porsche 911 GT1 '98 in Le Mans zum Doppelsieg.
Beginn der Hybrid-Ära: Die Rennstrecke als einzigartiges Versuchslabor
Wie konsequent Porsche den Motorsport als Entwicklungsplattform für innovative Technologien nutzt, unterstrich der 919 Hybrid. Der Le-Mans-Sieger von 2015, 2016 und 2017 ist bis heute das komplexeste Rennfahrzeug, das der Sportwagenhersteller jemals auf vier Räder gestellt hat. Sein kompakter, hoch effizienter V4-Motor stellte mit der bei Porsche entwickelten Benzindirekteinspritzung den Spitzenstand der Technik dar. Der 2,0-Liter-Benziner leistete rund 368 kW (500 PS).Mit etwa 294 kW (400 PS) befeuerte eine E-Maschine phasenweise die Vorderachse. Die zugehörige Lithium-Ionen-Batterie erhielt ihre Energie einerseits durch Bremsrekuperation, andererseits durch eine in der Langstrecken-WM nur von Porsche eingesetzten Technik: Ein zweiter Turbolader im Abgasstrom – mit variabler Turbinengeometrie – trieb einen Generator an. Besonders innovativ war auch das 800-Volt-Spannungssystem, das Porsche für den 919 Hybrid von Grund auf neu entwickelt hat. Es kam im 2019 vorgestellten Taycan weltweit zum ersten Mal in einem Serienmodell zum Einsatz und zählt zu den technischen Schlüsselmerkmalen des ersten rein elektrischen Sportwagens von Porsche.
Das volle Potenzial des High-tech-Rennwagens zeigte 2018 die Evo-Version des 919 Hybrid auf. Befreit von Reglementszwängen, umrundete der zweifache Le-Mans-Sieger und heutiger Porsche-Markenbotschafter Timo Bernhard mit ihr die Nürburgring-Nordschleife in 5:19,55 Minuten. Das Video der spektakulären Rekordrunde hat auf Youtube inzwischen über neun Millionen Aufrufe gefunden.
Porsche 963: Den 20. Le-Mans-Sieg im Visier
Seit 2023 ist Porsche wieder mit einem Hybridfahrzeug in der höchsten Klasse der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC und darüber hinaus auch in der US-amerikanischen IMSA Sportwagen-Serie vertreten. Die Entwicklung des 963 begann 2020. Er kombiniert einen 4,6 Liter großen V8-Motor, dessen Grundlagen bis zum Porsche RS Spyder und dem Supersportwagen 918 Spyder zurückreichen, mit zwei kleinen Turboladern und einem Hybridsystem. Als Gesamtleistung erreicht der auf dem LMDh-Reglement basierende Prototyp rund 515 kW (700 PS).Die Aufgabe des 963 ist klar definiert: Er soll den 20. Le-Mans-Sieg für Porsche einfahren und das Potenzial der Sportwagen des Herstellers anschaulich darstellen. 50 Jahre nach der Weltpremiere des 911 Turbo in Paris wäre es außerdem der 18. für einen Rennwagen von Porsche mit aufgeladenem Motor.