„Für Porsche kam der erste Titel schon letztes Jahr“, so Florian Modlinger, Gesamtprojektleiter Formel E bei Porsche. „Das war unsere vierte Saison in der Serie und die erste, in der die Konkurrenz keinen Entwicklungsvorsprung hatte. Als Porsche 2019 die allerersten Testfahrten absolvierte, befand sich die zweite Fahrzeuggeneration der Formel E schon für anderthalb Jahre im Rennbetrieb. Mit Einführung der dritten Generation standen wieder alle Teams vor neuen technischen Regeln – und uns gelang der entscheidende Sprung bei der Performance.“
Von der Langstrecke in den elektrischen Formelsport
2019 war Porsche in die Formel E eingestiegen. Das Engagement sollte die elektrischen Ambitionen des Sportwagenherstellers unterstreichen. Mehr Raum für Eigenentwicklungen machte die innovative Elektrorennserie auch technisch attraktiv. Beim Renndebüt im November 2019 in Saudi-Arabien erreichte das Werksteam aus Weissach auch gleich das Podest. Der erste Sieg folgte im Februar 2022 in Mexiko – ein historischer Doppelsieg. Doch erst mit der dritten Fahrzeuggeneration, der zur Saison 2022/2023 eingeführten sogenannten Gen3, setzte Porsche sich an der Spitze fest. Den neuen Raum für Eigenentwicklungen nutzten die Flachter Ingenieure und erarbeiteten dem Porsche 99X Electric einen kleinen technischen Vorsprung auf das Gros des Feldes. Das Kundenteam Andretti brachte diesen Vorsprung in Ziel, die Werksmannschaft verpasste den ersten Titel knapp.„Sprintrennen mussten wir erst lernen“, erklärt Florian Modlinger in seiner Rolle des Teamchefs. Modlinger war Anfang 2022 nach vier Formel-E-Jahren beim konkurrierenden Audi-Rennstall Abt zu Porsche gewechselt. Als Projektleiter gekommen übernahm er in der Folge auch die Einsatzleitung des Werksteams. Während er mit Sprintrennen auch aus der DTM vertraut war, prägte das Porsche-Team viel Erfahrung aus dem erfolgreichen Langstreckenprogramm mit dem Le-Mans-Prototyp 919 Hybrid. „In der Formel E muss man alles extrem auf den Punkt bringen. Es gibt nur wenige Testtage und wenig Trainingszeit an den Rennwochenende – bei gedeckelten Ausgaben und mit begrenztem Personal. Das Tempo ist hoch und der Umfang groß. Seit einer Weile fahren wir drei Programme gleichzeitig: das Renn- und Entwicklungsprogramm mit dem aktuellen Auto sowie das Testprogramm mit der Evo-Variante. Und wir arbeiten bereits an der komplett neuen Fahrzeuggeneration für die Saison 13. All das erfordert eine Maximierung in allen Bereich mit vielen Arbeitsstunden im Simulator.“
Eine Saison voller Rekorde
Zur Saison 2023/2024, der fünften für Porsche, waren die entscheidenden Schwächen ausgemerzt – und der Erfolg kam konstanter: Pole-Position und ein dominanter Sieg für Pascal Wehrlein beim Auftakt in Mexiko. Sechs weitere Siege folgten für das Werksteam in Misano, Berlin, Shanghai, Portland und London – eine neue Bestmarke. Mit sieben Siegen in einer Saison brach das TAG Heuer Porsche Formel-E-Team den Rekord des Renault-Teams e.dams (Saison 3). Wehrlein wurde nicht nur Weltmeister, sondern behauptete sich auch als bester Qualifyer. Teamkollege António Félix da Costa egalisierte seinen Rekord von 2020 mit drei Siegen in Folge, holte mit vier Siegen mehr als jeder andere in dieser Saison und überquerte gar fünfmal als Erster die Ziellinie. Dank Andretti-Pilot Dennis schlugen für den hocheffizienten Porsche 99X Electric am Ende gar acht Siege zu Buche.12 Siege bei 74 Starts – damit gewinnt kein Team in der Formel E häufiger als das Porsche-Werksteam. Die abgelaufene Saison in der Elektro-WM überflügelt in mancher Hinsicht selbst die drei Formel-1-Titel des von McLaren eingesetzten TAG-Turbo-Motors (Nikki Lauda 1984, Alain Prost 1985 und 1986). Während Porsche dazumal den Motor konstruierte und für das Weitere McLaren verantwortlich zeichnete, leistet Porsche beim 99X Electric nicht nur Entwicklungsarbeit, sondern auch den Aufbau und den Einsatz der Fahrzeuge. Hinzukommen alle Belange im Zusammenhang mit dem Kundensport-Programm von Andretti Formula E. Auch die Entwicklungsarbeit selbst umfasst weit mehr als nur den elektrischen Motor: Pulswechselrichter, Getriebe, Differenzial, Antriebswellen, Kühlungen und weitere Komponenten wie beispielsweise die hinteren Fahrwerksbauteile stammen aus Weissach, außerdem die gesamte Software des Fahrzeugs. Gerade sie ist von enormer Bedeutung – im 99X Electric, aber auch in den Porsche-Straßenfahrzeugen.
Spezialistentum Formelsport
Dass Formelsport auf Weltniveau andere Herausforderungen mit sich bringt als die Langstrecke, lernte Porsche schon Ende der Achtzigerjahre in den USA. Nicht nur mit einem eigenen Motor wie in der Formel 1, sondern auch mit einem eigenen Chassis wollte die Rennabteilung ab 1988 das berühmte Indianapolis 500 gewinnen. Das Fahrgestell jedoch blieb hinter den Erwartungen zurück. Der einzige Sieg unter mehreren Podestplatzierungen folgte 1989, als die britischen Spezialisten von March das Chassis stellten, und kam ausgerechnet auf dem eher europäisch geprägten Mid-Ohio-Rundkurs für Sportwagen. Nach insgesamt drei Jahren konzentrierte Porsche die Ressourcen wieder auf andere Projekte.Mit der bislang besten Saison in der ABB FIA Formel-E-Weltmeisterschaft beweist Porsche seine Fähigkeiten nun auch im Formelsport und damit in derjenigen Motorsportdisziplin, die dem Le-Mans-Rekordsieger historisch am wenigsten vertraut war. Florian Modlinger: „Technisch, fahrerisch und operativ stellt die Formel E ihre ganz eigenen Ansprüche. Die gesamte Mannschaft hat diese Ansprüche unheimlich gut gemeistert. Darauf können wir alle sehr stolz sein, schließlich sind wir auch ein Aushängeschild für die Fähigkeiten der Firma. Trotzdem bleiben wir hungrig: Nächste Saison wollen wir auch die Team-Weltmeisterschaft gewinnen.“