Formel 1
23.11.2011
Renault Sport F1 freut sich auf Highspeed-Samba
Schauplatz des Saisonfinales ist das Autodromo Jose Carlos Pace in den Außenbezirken von Sao Paulo. Besser bekannt ist die Strecke als Interlagos – wegen ihrer Lage zwischen den Seen Guarapiranga und Billings. Beide wurden Anfang des 20. Jahrhunderts als Trinkwasserspeicher für die schon damals boomende Metropole angelegt. Ihren heutigen Namen erhielt die Anlage 1985, als sie nach dem aufgehenden brasilianischen Formel 1-Star Carlos Pace benannt wurde, der 1977 bei einem Flugzeugabsturz starb.
Der 4,309 Kilometer lange Grand Prix-Kurs ist eine echte Naturrennstrecke. Er weist starke Höhenunterschiede auf und ist in eine Art natürliches Amphitheater eingebettet. Charakteristisch ist das Nebeneinander von zwei sehr unterschiedlichen Strecken-teilen. Der sehr winklige hintere Teil weist enge, oft nach außen hängende Kurven auf, von denen nicht wenige „zumachen“ und den Piloten mit ihren Bodenwellen zusätzlich zu schaffen machen. Der Rest der Runde besteht aus einem langen Bergaufstück und der ebenfalls leicht ansteigenden Zielgeraden. In dieser Passage sind Beschleunigung und Drehmoment gefragt. In Interlagos wird der Renault RS27-Achtzylinder folglich auf gute Fahrbarkeit, spontanes Ansprechverhalten und starke Spitzenleistung ausgelegt.
Renault gewann mit seinen verschiedenen Partnern rund ein Viertel aller 28 Brasilien-Grands Prix in Interlagos. Den ersten Sieg holte René Arnoux 1980 im Werks-Renault RE20. Nigel Mansell siegte im Williams-Renault FW14B. In den Jahren 1995 bis 1997 gewannen mit Michael Schumacher (Benetton-Renault) sowie Damon Hill und Jacques Villeneuve (beide Williams-Renault) durchgehend Partner der französischen Marke. Die letzten beiden Rennen gingen an Red Bull-Renault: 2009 war Mark Webber erfolgreich, 2010 führte der spätere Weltmeister Sebastian Vettel das Team zum Doppelsieg.
Zahlen und Fakten zum Großen Preis von Brasilien
Die Megacity Sao Paulo ist längst an die ehemals einsame Strecke herangewuchert. Die Stadt liegt auf einem Hochplateau im brasilianischen Bergland, etwa 800 Meter über dem Meeres¬spiegel. Für Renault Sport F1 ist das wichtig, da mit steigender Höhenlage der Luftdruck sinkt und die dünnere Luft absolut gesehen weniger Sauerstoff für den Verbrennungsvorgang enthält. Damit sinkt die Leistung der Motoren. Eine Faustregel lautet: Pro 100 Meter Höhenlage büßt ein Saugmotor rund ein Prozent seiner potenziellen Power ein. Für Interlagos rechnen die Triebwerks¬techniker folglich mit einem Leistungsmanko von acht Prozent gegenüber Rennen auf Meereshöhe wie etwa zuletzt in Südkorea. Um diesen Verlust so gering wie möglich zu halten, wird das Motor-Management entsprechend geändert.
Die Höhenlage hat für die Motoringenieure jedoch auch eine positive Seite: Da Sprit und Sauerstoff in einem bestimmten Verhältnis miteinander reagieren, bedeutet die geringere Luftdichte, dass theoretisch weniger Kraftstoff verbrannt wird. Diesen Umstand können die Techniker nutzen, um ein optimales – bei Bedarf auch fetteres – Benzin-Luft-Gemisch zu programmieren. Für die Partnerteams von Renault zahlt es sich zudem aus, dass sie über relativ frische Motoren verfügen: Ein Triebwerk mit geringerer Laufleistung mobilisiert im Spitzenbereich einige PS mehr als ein Motor am Ende seines Lebenszyklus.
Zur Strecke selbst: Die erste Kurve, das berühmte „Senna-S“, ist ein nach außen hängender und zudem abschüssiger Linksknick. Beim Einbiegen weisen die Boliden etwa 30 Grad Schräglage auf – das ist das größte Gefälle des gesamten Grand Prix-Kalenders. Durch das abschüssige und hängende Kurvenprofil sowie die Fliehkräfte werden alle flüssigen Betriebs- und Schmierstoffe im Auto plötzlich scharf nach rechts befördert – im Extremfall so stark, dass die Benzin- und Ölpumpen einen Moment lang nichts fördern können. Um diesen „Hungerast“ der Achtzylinder zu vermeiden – der vor allem im letzten Renndrittel mit leerer werdenden Tanks droht – werden die betreffenden Systeme und speziell die Benzinsaugrohre für Brasilien leicht modifiziert. Zudem werden die Teams voraussichtlich größere Flüssigkeitsmengen einfüllen, um auf der sicheren Seite zu bleiben und nicht zu „verhungern“.
Die gebogene Vollgas-Passage „Juncao“, die sich ab Turn 12 an den Boxen vorbei bis zum Ende der Zielgeraden erstreckt, führt ziemlich steil bergauf – insgesamt knappe 40 Höhenmeter. Um in diesem wichtigen Sektor keine Zeit zu verlieren, werden die Gang- und Getriebeübersetzungen sorgfältig auf eine optimale Beschleunigung in dieser Passage abgestimmt. Eine Rechen-aufgabe, die durch den besagten Leistungsverlust nicht einfacher wird. Gut möglich, dass die Heckflügelverstellung DRS in Interlagos kaum Überholvorgänge ermöglicht, da die Triebwerke am Ende der Geraden ohnehin hart an ihrer Leistungsgrenze arbeiten.
Andererseits reduziert die Höhenlage den Luftwiderstand, da die Autos auf dünnere Luft treffen. Für die kurvenreiche Rückseite des Kurses wäre jedoch „dickere“ Luft willkommen, da sich die Fahrer hier möglichst viel Abtrieb wünschen. Die Flügeleinstellungen in Interlagos werden ungefähr so aussehen wie auf Kursen mit hoher Downforce – etwa Valencia –, der tatsächlich erzeugte Abtrieb liegt jedoch gerade mal auf dem Niveau von Medium-Downforce-Strecken wie dem Nürburgring.
So wenig das Power-Manko durch den geringeren Luftdruck erwünscht ist, so willkommen ist die damit einhergehende Entlastung der Kolben. Dieser Bonus erlaubt es den Ingenieuren von Renault Sport F1, etwas aggressivere Motor-Kennfelder zu verwenden – und damit einiges von dem üblichen Leistungsverlust auszugleichen.
Bruno Senna, Lotus Renault GP, über das Autodromo Jose Carlos Pace in Sao Paulo
Ein Formel 1-Rennen in meiner Heimat Brasilien und vor den Augen meiner Familie zu fahren, wird sich fantastisch anfühlen. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, den Sport, den du liebst, in dem Land auszuüben, in dem du aufgewachsen bist. Interlagos ist ein klassischer Rennkurs. Typisch ist der Mix aus einigen schnellen, oft nach außen hängenden Kurven im ersten Sektor, den langen und langsamen Kehren im Mittelsektor und dem langen Vollgasstück am Ende der Runde. Auf dieser Strecke brauchst du einen Motor, der überall gut anspricht. Wegen der Höhenlage büßen wir etwas Leistung ein. Ich werde mit meinem Triebwerks-Renningenieur Ricardo Penteado – übrigens ein Brasilianer wie ich – eng zusammenarbeiten, um die besten Optionen heraus¬zufinden. Der Große Preis von Brasilien ist eine große Herausforderung. Ich setze mich selbst stark unter Druck, hier ein gutes Ergebnis herauszufahren. Doch die Motivation und die Vorfreude wiegen jeden Stress mehr als auf.
Der Brasilien-Grand Prix aus Sicht von Rémi Taffin, Einsatzleiter Renault Sport F1
Am Ende einer langen Saison freut sich glaube ich jeder im Fahrerlager auf das Finale. Brasilien war immer ein fantastischer Ort, das Jahr abzuschließen. Die Atmosphäre ist elektrisierend, die Rennen oft sehr spannend und unvorhersehbar, und der Kurs bietet genügend Herausforderungen, damit wir Motoreningenieure uns richtig gefordert fühlen.
Die Strecke ist in weiten Teilen ziemlich wellig und wird entgegen dem Uhrzeigersinn gefahren. Ähnlich wie in Spa und am Nürburgring geht es hier ganz schön rauf und runter. Wegen der sehr unterschiedlichen Streckenabschnitte muss der Motor hier in jeder Hinsicht auf Top-Niveau sein: hohe Spitzenleistung auf den Geraden und dem langen Bergaufstück, gute Fahrbarkeit im winkligen Mittelteil. Der maßgebliche Faktor in Interlagos bleibt jedoch die Lage von 800 Metern über Null.
Wenn wir auf einen Berg steigen, geraten wir immer mehr außer Atem und fühlen uns irgendwann schlapp – dasselbe passiert mit den Motoren. Unser RS27 produziert hier rund acht Prozent weniger Power als auf Meershöhe wie etwa in Valencia, Südkorea oder Abu Dhabi. Es gibt einige Ansätze, diesen Effekt zu mildern: Zum Beispiel programmieren wir die Motor-Mappings um und stellen unseren Partnerteams Triebwerke mit möglichst geringer Laufleistung zur Verfügung.
In dieser Hinsicht sind wir sehr gut aufgestellt: Wir haben allen unseren Partnern erst in Abu Dhabi ganz frische Motoren bereitgestellt, sodass der Leistungsverlust geringer ausfallen dürfte als bei anderen Motorenherstellern. Aber so ein Rennen ist immer wieder eine große Herausforderung – auch am Ende einer so erfolgreichen Saison.
Kurz notiert
Interlagos gilt als der welligste aller aktuellen Grand Prix-Kurse. Monaco und andere Straßenkurse weisen zwar „natürliche“ Hindernisse wie Gullydeckel auf. In Sao Paulo sorgen die hohe Luftfeuchtigkeit, die Höhenlage und der seltene Rennbetrieb dafür, dass der Asphalt übers Jahr immer wieder neue Wellen wirft. Auf diesen Buckeln heben die Boliden wegen ihrer steifen Abstimmung und geringen Bodenfreiheit immer wieder kurz ab. Selbst wenn das nur für eine Millisekunde passiert, schnellt die Drehzahl sofort bis in den Begrenzer hoch, sobald die Räder den Bodenkontakt verlieren. Diese Drehzahlspitzen setzen die beweglichen Teile der Triebwerke unter starken Stress.