Formel 1
14.11.2012
Renault Sport F1-Vorschau auf den USA GP
So weist der als „COTA“ abgekürzte Kurs Passagen auf, die den Esses von Suzuka, dem Turn 8 von Istanbul, dem Senna-S von Interlagos, der Becketts-Maggotts-Kombination von Silverstone und der Parabolika samt Spitzkehre von Hockenheim nachempfunden sind.
Weil sich die Strecke in die natürliche Hügellandschaft rund um die texanische Hauptstadt schmiegt, weist sie beträchtliche Höhenunterschiede auf. Das gilt besonders für den ersten Sektor, in dem eine blind genommene Kurve zusätzliche Herausforderungen an die Piloten stellt. Wie immer vor der Premiere eines neuen Grand Prix-Kurses bereitet sich Renault Sport F1 mit dem Einsatz sämtlicher zur Verfügung stehender Technologien auf das Rennen vor. Dazu gehören Computersimulationen ebenso wie ausgiebige Prüfstandtests.
Allein für die Tests verschiedener Motor-Mappings auf Prüfständen, die das echte Streckenprofil wiedergeben, investieren die Ingenieure von Renault Sport F1 mehr als doppelt so viel Zeit wie vor Läufen auf bekannten Rennstrecken. Prüfstandversuche und Computer-Simulationen haben sich vor dem US-Grand Prix daher über rund vier Tage erstreckt.
Der Circuit of the Americas im Überblick
Die COTA-Simulationen von Renault Sport F1 haben eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 196 km/h im Rennen und knapp 205 km/h im Qualifying errechnet. Zwar weist die Strecke zwei lange Geraden auf, die vielen langsamen Kehren senken den Schnitt jedoch. Allein acht der 20 Kurven werden im dritten oder einem noch niedrigeren Gang gefahren. Damit entspricht der Circuit of the Americas etwa der Charakteristik des Stadtkurses von Valencia.
Wie zuletzt in Abu Dhabi ist die längste Gerade nicht jene bei Start und Ziel, sondern das Stück zwischen den Kurven 11 und 12. Diese Passage misst 1,016 Kilometer. Dies bedeutet, dass der Renault RS27-V8 hier mehr als 13 Sekunden bei Volllast laufen wird. Zum Ende der Geraden erwartet Renault Sport F1 eine Höchstgeschwindigkeit von 314 km/h, der Motor wird dann für rund 2,5 Sekunden voll ausgedreht.
Die Start-Ziel-Passage verläuft in etwa rechtwinklig zum längsten Geraden. Auch hier werden die Autos bis in den siebten Gang beschleunigen. Welche Übersetzung für beide Geradeausstücke passt, hängt sehr stark von der Windrichtung am Rennwochenende ab. Was für die eine Gerade optimal ist, könnte auf der anderen zu kurz oder zu lang ausfallen. Renault Sport F1 und die vier Partnerteams werden die Witterung in den freien Trainings am Freitag daher sehr genau beobachten.
In puncto Power-Anforderungen liegt der COTA etwa auf dem Niveau von Malaysia. Im Rennen werden die Drosselklappen über 57 Prozent einer Runde voll geöffnet sein, im Qualifying für knapp 60 Prozent. Die Simulationen haben eine Rundenzeit von 1:39 Minuten errechnet.
Drei Haarnadelkurven teilen die Strecke in ihre Sektoren: die Turns 1, 11 und 12. Alle drei bilden das Ende eines Vollgasstücks, in allen dreien wird die Drehzahl auf 9.500 Touren und die Geschwindigkeit auf nur 80 km/h absinken. Wegen der entsprechend harten Bremsmanöver kommt der Abstimmung der Motorbremse und der Stabilität der Hinterachse große Bedeutung zu. Ebenso wichtig sind die Kurvenausgänge – hier legt das Ansprechverhalten der Motoren den Grundstein für eine gute Endgeschwindigkeit auf den folgenden schnellen Geraden.
Der Kraftstoffverbrauch wird die neben Abu Dhabi höchsten Werte der Saison erreichen. Die Meereshöhe von 150 Metern würde den Verbrauch theoretisch senken, die Bergaufpassagen sowie die kühleren Temperaturen in Texas – und der damit höhere Sauerstoffgehalt der Luft – gleichen diesen Effekt jedoch aus. Die relativ hohe Luftfeuchtigkeit und das ständige Bremsen und Beschleunigen im winkligen ersten und dritten Sektor wiederum erhöhen den Kraftstoffbedarf der V8-Motoren. Am Start werden die Fahrzeuge deshalb eine ähnlich schwere Spritlast tragen wie in Abu Dhabi und Melbourne.
Jérôme d’Ambrosio, Lotus F1 Team: „Ich freue mich schon sehr auf den Circuit of the Americas. Denn dieser Kurs zeichnet sich durch sein sehr gelungenes Layout aus und bietet zudem zahlreiche gute Überholmöglichkeiten. Es gibt einige langgezogene, schnelle S-Kurven und viele Wechselkurven, die mit hohem Tempo durchfahren werden – ganz ähnlich wie die berühmten ,Becketts-Esses‘ in Silverstone. Der GP-Kurs von Austin macht wirklich Spaß. Bereits die erste Kurve, eine enge Links, hat es in sich. Hier dürfte es insbesondere im Rennen zu einigen spektakulären Positionskämpfen kommen. Sowohl aus Fahrersicht als auch für die Fans hat der Circuit of the Americas viel zu bieten. Denn die Tribünen ermöglichen einen fantastischen Blick auf das Renngeschehen. Und an der nötigen Action dürfte es hier gewiss nicht mangeln.“
Rémi Taffin, Leiter des Renault Sport F1 Einsatzteams: „Für uns als Motorenpartner ist es immer eine besondere Herausforderung, wenn die Formel 1 zum ersten Mal auf einer neuen Strecke gastiert. Wir bereiten uns mit zahlreichen Tests auf den Motorenprüfständen sowie mit diversen Computersimulationen auf das Rennwochenende vor. Diese Simulationen erlauben eine so detailgetreue Darstellung, dass wir im Vorfeld sogar die passende Getriebeübersetzung und die optimale Motorsteuerung festlegen können. Auch den Benzinverbrauch pro Runde können wir bereits vor der Ankunft an der Rennstrecke bestimmen. Vor Ort müssen wir dann lediglich noch einige Details wie die Asphaltbeschaffenheit und das Überfahren der Kerbs in unsere Berechnungen miteinbeziehen.
Der erste Sektor beginnt mit einer sehr langsamen Haarnadelkurve. Hier benötigen die Fahrer eine gut abgestimmte Motorbremse. Beim Herausbeschleunigen steht ein sensibles Ansprechverhalten des RS27 im Fokus der Motoreningenieure. Denn anschließend folgt eine sehr flüssig zu fahrende Passage mit mehreren aufeinanderfolgenden Kurven, die den Maggotts-Becketts Esses von Silverstone sowie den berühmten S-Kurven auf dem Grand Prix-Kurs von Suzuka ähneln. Die erste Kurve wird ,blind‘ gefahren, das heißt, das der Fahrer den Scheitelpunkt regelrecht fühlen muss. Dabei ist es natürlich wichtig, dass er sich absolut auf sein Fahrzeug verlassen kann. Der darauffolgende Sektor ist sowohl für die Piloten als auch für unsere Motoreningenieure eine fantastische Herausforderung. Denn dieser Teil der Strecke erfordert eine penible Anpassung der Motor-Kennfelder. Er wird im fünften und sechsten Gang mit Drehzahlen von mindestens 15.000 Touren durchfahren, die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt hier bei rund 210 km/h. Aufgrund der schnellen Richtungswechsel werden in dieser Passage sämtliche Bauteile und Schmierstoffe des Motors extremen Querbeschleunigungen ausgesetzt.
Den größten Anteil des zweiten Streckenabschnitts macht die lange Gerade aus, die mit knapp über einem Kilometer zu den längsten Vollgaspassagen der gesamten Saison zählt. Dennoch ist dies einer der einfachsten Streckenabschnitte auf dem Circuit of the Americas. Die größte Herausforderung bietet der dritte Sektor. Denn hier folgt eine Mischung aus den anspruchsvollsten Kurven aller aktuellen Formel 1-Rennstrecken: das Motodrom von Hockenheim ist ebenso vertreten wie die langgezogene Kurve 8 beim GP von Istanbul. Diesem Streckenabschnitt werden wir bei der Abstimmung des RS27-V8 besonders viel Aufmerksamkeit widmen. Was auf der Streckengrafik nicht zu erkennen ist: Der GP Kurs von Austin weist sehr große Höhenunterschiede auf. Damit ähnelt er dem Buddh International Circuit in Indien. Die Folge: Sowohl das Benzin als auch das Öl schwappen nicht nur in den Kurven von einer Seite zur anderen, sondern sind auf den zahlreichen Hügeln und in den Senken auch starken vertikalen Kräften ausgesetzt. Allerdings verfügen wir bereits von anderen Kursen wie etwa in Spa oder eben in Indien über reichlich Erfahrung mit einer derartigen Streckencharakteristik. Die Anforderungen des Circuit of the Americas stellen unsere Ingenieure also vor keinerlei Probleme.“