Was haben Sie gefühlt, als die beiden Porsche 919 Hybrid zum letzten Mal über die Ziellinie fuhren?
Fritz Enzinger: „Das war einerseits Wehmut und andererseits eine enorme Erleichterung darüber, dass das Projekt so erfolgreich war.“Andreas Seidl: „Wir sind als Team über Jahre durch dick und dünn gegangen. Dieser letzte Einsatz unter Wettbewerbsbedingungen war wirklich wehmütig. Gleichzeitig habe ich eine tiefe Dankbarkeit empfunden. Dafür, dass ich ein Teil dieses Kapitels Porsche-Motorsportgeschichte sein konnte, für die Erfolge und vor allem dafür, dass wir die vier Jahre ohne Unfälle mit Verletzten überstanden haben.“
Erinnern Sie sich noch an Ihre Erwartungshaltung bei Dienstantritt?
FE: „Ich erinnere mich vor allem an die Erwartungshaltung, die an das Projekt gestellt wurde. Es ging jeder davon aus, dass demnächst der 17. Gesamtsieg in Le Mans kommt. Diese Selbstverständlichkeit war erstaunlich. Immerhin war Porsche seit 1998 nicht mehr in der Topklasse in Le Mans angetreten. Es gab weder Infrastruktur noch Erfahrung auf dem Level der neuen LMP1-Hybrid-Klasse. Wir mussten schließlich nichts anderes als einen Formel-1-Rennwagen mit Dach bauen.“AS: „Mir war die Bedeutung, die dieses Projekt für Porsche hatte, die hohe Identifikation der Belegschaft und die Erwartungshaltung innerhalb und außerhalb von Porsche in diesem Ausmaß nicht bewusst, als ich herkam. Für mich war Porsche LMP vor Dienstantritt ein weiteres, sehr interessantes Motorsport-Projekt, das ich erfolgreich gestalten wollte. Ich hatte noch gar nicht richtig auf dem Schirm, was es heißt, mit Porsche in Le Mans um den Gesamtsieg anzutreten. Ich war ein Sprint-Racing-Junkie. Das hat sich schnell geändert. Ich sah die einmalige Chance, ab Stunde null ein Rennteam aufbauen zu können und hatte das Ziel, Rennsiege einzufahren. Allen voran in Le Mans.“
Wie sind sie mit dem Druck umgegangen?
FE: „Die ersten Monate waren schwierig. Ich war 2011 in einem tristen November mit Dauerregen als Externer ins Unternehmen gekommen, habe 14 Stunden am Tag gearbeitet und an allen Fronten gekämpft. In diesem Projekt gab es nie den einen ersten Schritt. Es musste alles parallel passieren. Baubesprechung, Reglementsitzung, Personalgespräche, Finanzen und Technik – die Taktung war extrem eng, und die Zeit verging unheimlich schnell. Natürlich gab es auch Tage mit Selbstzweifeln. Ich bin da nicht reinspaziert und habe gesagt, na klar, das ziehe ich jetzt durch. So etwas Großes von null aufzubauen, war nicht nur ein Novum bei Porsche. Ich kenne auch sonst aus der Automobilindustrie nur Beispiele, bei denen bestehende Strukturen ausgebaut wurden. Aber den Gedanken zu Scheitern, habe ich mir nie gestattet.“AS: „Mir nimmt eine optimale Vorbereitung eine gewisse Portion Druck. Sie hilft, den Rest zu managen. Für die bestmögliche Vorbereitung auf unsere Renneinsätze haben wir im Team alles getan. Wir spielten immer wieder sämtliche Szenarien durch, die es an einem Rennwochenende geben kann. Wir steckten unsere Road to Le Mans ab, planten präzise, was wir wann und wo testen wollten und wie wir das Personal einsetzen. Aber trotz bester Vorbereitung wirst du den Druck nicht los, der sich vor Le Mans aufbaut und der Samstagmittag vor dem Start seinen Gipfel erreicht. In meiner Position war es wichtig, trotz des inneren Drucks nach außen eine gewisse Ruhe auszustrahlen. Ich musste dem Team signalisieren: Wir haben alles getan, was wir konnten, wir sind gut vorbereitet, das wenden wir jetzt an.“
Was waren die drei wichtigsten Entscheidungen zum Start des Programms?
FE: „Da gibt es für mich nur eine herausragende Entscheidung: Das war die Schaffung einer eigenen Hauptabteilung für das LMP-Programm, die direkt an den Vorstand berichtete. Diese Ansiedlung hat uns die nötige Flexibilität gegeben.“AS: „Ja, die schlanke und eigenständige Struktur war sehr wichtig. Zweitens war entscheidend, ein eigenes Werksteam in Weissach zu haben und nicht nur die Entwicklung dort anzusiedeln. Und drittens war für mich die auch vom Vorstand getragene Philosophie ausschlaggebend, das Fahrzeugkonzept sehr aggressiv und kompromisslos anzugehen, um das Potenzial des Reglements maximal auszuschöpfen.“
Was war Ihr persönliches Highlight in den zurückliegenden Jahren?
FE: „Das war als Dr. Wolfgang Porsche mir 2015 nach dem ersten Gesamtsieg in Le Mans die Hände auf die Schultern legte und sagte: ‚Jetzt ist es wieder so wie früher bei Porsche.' Diese Einordnung in die erfolgreichsten Zeiten von Porsche, hat mir viel bedeutet. Dieser erste Le-Mans-Sieg war auf jeden Fall der schönste, weil er so überzeugend war. Wir waren erst in unserer zweiten Saison und derart souverän. Beim zweiten und dritten Sieg waren es spezielle Situationen. Da hatte ich mich innerlich jeweils schon darauf vorbereitet, dass es vielleicht nicht klappt.“AS: „Für mich auch ganz klar die 24 Stunden 2015. Das war in der Vorbereitung und während dieser zwei Le-Mans-Wochen die größte Operation, bei der ich je dabei war und die ich in dem Fall zu leiten hatte. Der Einsatz dieser drei Autos und die Koordination der kompletten Mannschaft im Renneinsatz war jenseits von allem, was ich zuvor gemacht hatte. Dabei aus eigener Kraft mit drei Autos ohne technische Probleme durchzufahren, einen Doppelsieg zu erreichen und in Sachen Boxenstopps die neue Referenz zu werden – das war nahe an der Perfektion und so, wie ich mir einen Renneinsatz vorstelle. Noch dazu war es für uns als Team eben dieser einzigartige Moment, für Porsche den ersehnten Gesamtsieg zu holen. Dafür hatten wir hart gekämpft und damit konnten wir die Erwartungen erfüllen.“
Was war für Sie die kritischste Phase des Programms?
FE: „So richtig kritisch war es in meinen Augen nie. Aber ich erinnere mich noch gut an unser viertes Rennen. 2014 in Austin lief es nicht gut. Wir waren nicht schnell genug, es gab einen Wolkenbruch und vor allem Leistungsverlust bei einem Auto und deshalb keinen Podestplatz. Da habe ich verstanden, dass Porsche nicht sehr viel Übung darin besaß, hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Aber letztlich haben wir doch alle gemeinsam unsere Entwicklungsphilosophie getragen: Im Zweifelsfall haben wir uns immer für das aggressivere Konzept entschieden mit dem Ziel, den 919 erst einmal schnell und anschließend standfest zu machen. Wenn das Auto das erste Mal durchfährt, dann ist es auch siegfähig – das war das Credo.“AS: „Für mich war eindeutig die Testphase vor unserem ersten Renneinsatz die kritischste Zeit. Wir hatten viele technische Probleme, da hat es richtig gebrannt. Wir waren ein neu zusammengewürfeltes Team und mussten uns erst einmal auf der zwischenmenschlichen Seite finden. Die Teamstruktur musste parallel zur Entwicklung eines hochkomplexen Fahrzeugs aufgebaut werden. Wir hatten null Referenz, wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen, mit dem was wir tun. Es entstand innerhalb von Porsche eine gewisse Unruhe, weil wir keine Ergebnisse zu vermelden hatten. Manches sickerte nach draußen und es gab Stories, wie schlecht es bei uns ausschaut. Durch diese Die-kriegen-das-nie-hin-Stimmung als Team durchzumarschieren, war schwierig. Dabei haben wir auch Leute verloren, die nicht mehr dran geglaubt haben. Aber da gemeinsam durchzukommen, hat uns später zusammengeschweißt. Da wurden die Grundsteine gelegt, und die Schlüsselpositionen blieben zum Glück konstant.“
Wann lagen Ihre Nerven blank?
FE: „Das passiert bei mir einfach nicht, diesbezüglich hat mich die Natur gut ausgestattet. Je schwieriger sich eine Situation entwickelt, desto ruhiger werde ich. Das war schon immer so, und das ist auch gut so für das Umfeld. Wenn es brenzlig wird oder etwas schiefgeht, schauen natürlich viele, wie ich reagiere. Wenn ich dann ruhig bleibe, hilft das der Konzentration. Eine hektische Box mit aufgescheuchten Leuten finde ich ganz entsetzlich. Bei uns wurde nie rumgeschrien, und nutzlose Schuldzuweisungen haben wir schon in der ersten Entwicklungsphase ausgeräumt. Bei den frühen Tests kamen vom Verbrennungsmotor starke Vibrationen. Natürlich war das Fahrverhalten deshalb miserabel, aber die Jungs von der Fahrwerksentwicklung konnten nichts dazu. Die mussten damals von Aluminium auf Stahl umbauen, damit wir überhaupt fahren konnten. In dieser Zeit haben wir alle zwischenmenschlich viel gelernt und kapiert, dass wir Probleme eben gemeinsam lösen müssen, wenn wir vorankommen wollen.“AS: „Ich versuche, jedes Thema analytisch anzugehen und gemeinsam mit der Mannschaft Lösungen zu finden. Dass meine Nerven in diesem Projekt nie blank lagen, hat aber auch mit dem Glück zu tun, dass unser Programm eine kontinuierliche Erfolgsstory war.“
Wie oft haben Sie Freudentränen vergossen?
FE: „Mindestens drei Mal. In Le Mans zu gewinnen, ist etwas so Besonderes. Und das mit Porsche zu schaffen, hat eine zusätzliche Dimension, weil es das ganze Unternehmen bewegt. Nach der Rückkehr haben mich Porsche-Kollegen beglückwünscht und umarmt, die ich noch nicht einmal kannte.“ AS: „Ich nehme meine Emotionen tendenziell eher mit nach Hause. Aber bei den erfolgreichen Zieldurchfahrten in Le Mans war es dann auch soweit. Dieses Zwei-Wochen-Event mit dem Druckaufbau und schließlich dem Rennen selbst, das physisch und mental so anstrengend ist – wenn du dann die Zielflagge siehst und auch noch mit einem Porsche für das Werk gewinnst, das ist dann einzigartig. Da fällt digital alles auf einmal ab. Die Freude und Erleichterung in den Gesichtern im Team zu sehen, ist unbeschreiblich. Ich weiß, dass ich dieses Erlebnis nie mehr toppen kann. Egal, was noch kommt. Ich bin jeden Tag dankbar für das Erlebte.“
Welche fahrerische Leistung hat Sie am meisten beeindruckt?
FE: „Das kann ich unmöglich auf eine Situation reduzieren. Alle zehn LMP-Fahrer haben mich immer wieder stark beeindruckt, auch unabhängig vom Resultat. 2017 in Fuji zum Beispiel haben wir nicht gewonnen. Aber es war grandios, wie Earl Bamber seinen ersten WEC-Startstint fuhr mit einem Auto, das die WM anführte. Unter diesem Druck und unter widrigsten Bedingungen auf nasser Strecke hat er den 919 derart schnell bewegen und kontrollieren können, dass er zwölf Sekunden Vorsprung aufbaute. Bei der Fahrerauswahl hatten wir wirklich ein gutes Händchen.“AS: „Spontan hat mich 2015 die Leistung der Jungs im dritten Auto in Le Mans stark beeindruckt, die quasi als Neulinge gewonnen haben. Andererseits war es aber auch doch wieder nicht überraschend, denn wir hatten in einem harten Auswahlverfahren drei Profis ausgesucht und ihnen von Anfang an die gleiche Vorbereitung gegeben wie den Stammfahrern. Warum hätten sie also langsamer sein sollen? Wir hatten über all die Jahre den Luxus, immer den besten und ausgeglichensten Fahrerkader im Paddock zu haben. Die Fehlerquote auf der Fahrerseite war extrem gering.“
Was war Ihr erster Gedanke, als Mark Webber beim Finale 2014 verunglückte?
FE: „Das war schlimm. Da ist mir zum ersten Mal in diesem Projekt so richtig bewusst geworden, wie gefährlich diese Rennen auch sein können. Als Mark noch während seiner Formel-1-Zeit zu uns kam und sagte, er wolle Teil unseres LMP-Programms werden, konnte ich das erst kaum glauben. Aber er war entschlossen, das Team mit aufzubauen, sich auf diese Welt einzulassen. Was waren wir froh, als er uns nach dem Einschlag ein Zeichen gab, dass er einigermaßen okay ist! Dieses Rennen in São Paulo war für mich überhaupt jenes, welches mich am meisten bewegt hat: Der Unfall, die quälende Ungewissheit, die Erleichterung und dann Minuten später der erste Sieg durch das andere Auto. Da ist ein enormer Druck von mir und sicher von jedem im Team abgefallen. Es war die Bestätigung: Wenn das Auto durchfährt, ist es schnell genug. An diesem Tag kam alles zusammen. Später hat Mark dann doch eine ganze Weile gebraucht, um sich zu erholen.“AS: „Mein erster Gedanke war: Komm Junge, geh auf den Funk und sag, du bist da! Das hat Mark zum Glück auch ganz leise gemacht. Wir haben in so einer Situation auch nur die TV-Bilder. Da fühlen sich Sekunden wie Minuten an. Gleichzeitig haben wir die Verantwortung für das zweite Auto und fragen uns, ob ein technischer Defekt die Ursache gewesen sein könnte, der womöglich den anderen Fahrer gefährdet. Fernsehbilder vom Unfallhergang gab es nicht. Die Sicherheit des Fahrers hat immer oberste Priorität, parallel darf man aber kein Auto unnötig aus dem Rennen nehmen. Diese sicherheitskritischen Entscheidungen live und mit eingeschränkten Informationen treffen zu müssen, ist mit das schwierigste im Renngeschäft.“
Gibt es einen Fahrer, den sie gerne einmal in den Porsche 919 Hybrid gesetzt hätten oder setzen würden?
FE: „Ja, Patrick Dempsey bei einem Test. Aber es hat sich leider nicht ergeben, dass wir ihm genug Zeit geben konnten, damit er sich richtig ans Auto gewöhnen kann.“AS: „Grundsätzlich alle Topfahrer aus anderen Topklassen. Weil ich möchte, dass die in unseren 919 Hybrid einsteigen und mit einem Grinsen aus der ersten Runde zurückkommen. Das Auto ist eine ultimative Fahrmaschine, die jeder Rennfahrer genießt, wenn er erst einmal die maximale Beschleunigung vom Hybridsystem zusammen mit dem Verbrenner spürt. Und natürlich war es für mich interessant, wenn sich Topfahrer aus anderen Topklassen mit unseren Piloten gemessen haben. Dann zeigte sich die hohe Qualität unserer Fahrer.“
Welche war die schwierigste Entscheidung, die Sie treffen mussten?
FE: „Da kann ich keine einzelne rauspicken, aber eine Zeit: In der Anfangsphase 2012 mussten so viele verschiedene Entscheidungen parallel getroffen werden, dass es im Nachhinein schon verblüffend ist, wie viele davon richtig waren.“AS: „Meine mutigste Entscheidung war vermutlich die Verpflichtung von Earl Bamber. Er kam aus dem Porsche Supercup und hatte keine Prototyp-Erfahrung. Das barg ein gewisses Risiko. Aber er hat unseren leitenden Renningenieur und mich beim ersten Test wirklich damit beeindruckt, wie schnell er auf Speed war und wie konstant er einen Stint fahren konnte. Wir waren überzeugt, dass er es schaffen kann. Es hat auch zu unserem Projekt gepasst, bewusst Risiken einzugehen, wenn sie gleichzeitig eine große Erfolgschance bieten. Die schwierigsten Entscheidungen sind immer personeller Natur. In einem Rennteam durchlebt man gemeinsam viele Höhen und Tiefen, die stark verbinden, man baut eine enge Beziehung zu den Teammitgliedern auf. Trotzdem musste ich im Laufe des Projekts immer wieder personelle Entscheidungen treffen, die für den einzelnen hart, aber richtig im Sinne der Team-Performance waren. Solche Entscheidungen sind mir am schwersten gefallen. Aber die Aufgabe als Teamchef besteht halt nicht nur darin, Pokale abzuholen und beliebt zu sein.“
Wie erinnern Sie den ersten Le-Mans-Einsatz 2014?
FE: „Dieses Rennen kam für uns viel zu früh. Wir hatten nur einen einzigen Simulationstest gehabt, und da haben wir nie mehr als sechs oder sieben Stunden geschafft. Der ganze Testbetrieb funktionierte ja erst seit Dezember richtig, nachdem wir die Vibrationen abgestellt hatten. Hinter uns lagen gerade einmal zwei Sechsstundenrennen, und die waren auch nicht reibungslos verlaufen. Dass wir dann nach 20 Stunden in Le Mans in Führung lagen, hat kurzfristig Hoffnungen geweckt, die nicht berechtigt waren. Die Antriebs- und der Getriebedefekte kamen nicht überraschend.“AS: „Ja, der Einsatz kam für uns auf jeden Fall zu früh. Wir waren weder bezüglich Haltbarkeit für die 24 Stunden gewappnet noch waren wir operativ als Team aussortiert, um es mit den Großen aufzunehmen. Wir hatten dann ja auch Standfestigkeitsprobleme, unsere Boxenstopps waren schlecht im Vergleich zur Benchmark, und den Speed hatten wir auch nicht. Das Rennen lief dann eigentlich glücklich für uns, sodass es als Teilerfolg verbucht wurde. Auch wenn man im ersten Jahr dieses komplexen Projekts realistisch nicht mehr erwarten konnte und durfte, war dieser Einsatz natürlich dennoch unter meinen Ansprüchen.“
Wie und wann haben Sie den ersten Le-Mans-Sieg 2015 realisiert?
FE: „Ich weiß noch, wie ich so gegen Mitternacht im Hotelzimmer ankam. Gleich einschlafen konnte ich ohnehin nicht. Ich war erfüllt von der Erleichterung, es geschafft zu haben. Ich lag im Bett und habe nochmals die harzigen Anfänge Revue passieren lassen. Wie ich von München weg bin und dann ohne die Familie in einem öden Apartmenthaus wohnte, in dem nur Pendler lebten. Ich kam immer im Dunkeln dorthin und im Treppenhaus roch es nach Tütensuppe. Das war ein Schlafplatz, mehr nicht. Ich habe mich an Entbehrungen erinnert. Aber jetzt war es gewonnen und das hatte für Porsche so eine immense Bedeutung. Ich war so herrlich entspannt und zufrieden, dass ich gar nicht einschlafen wollte. Ich wollte dieses Gefühl festhalten. Am nächsten Morgen wurde ich um sechs Uhr abgeholt. Auf dem Weg nach Paris habe ich dann die ganzen SMS-Nachrichten mit Glückwünschen gesehen. Das war sehr real und es waren viel zu viele, um sie alle individuell zu beantworten. Ich habe dann an alle dieselbe Nachricht geschickt: Guten Morgen! Aufgewacht. Doch kein Traum.“ AS: „Ich habe das erst nach meiner Rückkehr zuhause bei der Familie in München so richtig realisiert. Da kam dann auch per SMS die Bestätigung aus Le Mans, dass alle technischen Nachuntersuchungen bestanden wurden. Ich kann mich über Rennsiege nie so direkt freuen, weil ich immer im Hinterkopf habe, was danach im Scrutineering noch alles schiefgehen kann. In Le Mans sind die Checks besonders intensiv, das dauert bis zum späten Montagnachmittag. Insofern konnte ich mich dort am Sonntagabend noch nie so richtig freuen. Aber daheim war ich dann sehr glücklich, dass wir als Team das für Porsche geschafft haben.“
Wie stark unterschied sich der Le-Mans-Modus von einer Art Normalbetrieb?
FE: „Der Fokus lag immer klar auf Le Mans. Ohne den Sieg bei den 24 Stunden ist ein WM-Titel nur die Hälfte wert. Schon beim Roll-out im Dezember war die entscheidende Frage: Reicht unser Paket für Le Mans? Es war eh klar: Wenn das Auto dort gewinnen kann, kann es das bei Sechsstundenrennen auch.“AS: „Das war auch operativ ein großer Unterschied. In diesen zwei Wochen in Le Mans geht man mit der Mannschaft durch viele extreme Situationen, technisch und menschlich. Das ist mit keinem anderen Rennen vergleichbar. Das Eventformat ist speziell und der Druck ist riesig. Jeder weiß, er hat nur diese eine Chance im Jahr, es gibt nichts wieder gutzumachen. Der Druck, dort mit Porsche zu sein, ist intern und extern immens. Er baut sich jeden Tag mehr auf, bis die Autos Richtung Startaufstellung gehen. Mir war immer bewusst, dass trotz bester Vorbereitung sehr viel Glück nötig ist, um dieses Rennen überhaupt zu bestehen und erst recht, um es auch noch zu gewinnen. Aber das war unser Auftrag. Die Herausforderung, als Team in diesem Käfig da unten in der Box klarzukommen, ist speziell. Das wird mir auch fehlen. Das gibt es nur dort.“
Wie viel hat der Erfolg mit Glück zu tun?
FE: „Ohne Rennglück ist Le Mans nicht zu gewinnen. Bei fast 60 Autos auf der Strecke und dem permanenten Überrundungsverkehr geht es nicht ohne. Das beste Team und das beste Auto sind nicht ausreichend, wenn einem das Glück fehlt. Ich bin dankbar, dass wir recht viel davon hatten.“AS: „Um Le Mans zu gewinnen, braucht es tatsächlich verdammt viel Glück. Nicht nur auf der Strecke, sondern auch in der Box, bei den Stopps und in der Vorbereitung. Alle Zulieferer müssen Teile in perfekter Qualität liefern. Beim Aufbau der Komponenten in Weissach darf nichts schiefgehen. Das Einsatzteam muss über die beiden Le-Mans-Wochen perfekt arbeiten... Wenn ich daran denke, wie viele Leute an der Operation Le Mans beteiligt waren und was alles hätte schiefgehen können, dann ist mir sehr bewusst, dass es eine große Portion Glück dazu braucht. Und dann, wie Fritz sagt, brauchst du noch das Glück in jeder Kurve im Rennen. Dass kein Auto abgeschossen wird, dass kein Fahrer patzt und die Boxencrew auch nicht. In die Position allerdings, um von diesem Glück profitieren zu können, kommt man nur durch harte Arbeit und perfekte Vorbereitung.“
Worüber haben Sie sich am meisten geärgert?
FE: „Mich zu ärgern und aufzuregen, liegt nicht in meinem Naturell. Aber ich mag keine Besserwisser und habe in dieser Hinsicht vorgesorgt. Wir konnten in vielen Punkten autark arbeiten, das war in meinen Augen sehr wichtig. Denn wenn aus jeder Ecke jemand kommt, der mitentwickeln will, funktioniert so ein Projekt nicht.“ AS: „Über technische Defekte im Rennen in Le Mans, die dort trotz guter Vorbereitung zum ersten Mal aufgetreten sind. Sachen, die vorher nie erkennbar waren. Aber das muss man akzeptieren, das ist Teil der Herausforderung in Le Mans. Die statistische Absicherung bleibt aufgrund der Vielzahl der Faktoren gering. Es ist trotz bester Vorbereitung unmöglich, alle technischen und menschlichen Fehlerpotenziale hundert Prozent im Griff zu haben. 2017 waren wir besser vorbereitet als je zuvor. Die Dauerläufe waren perfekt, aber dann hatten wir an beiden Autos Defekte. Das hat mich extrem geärgert. Selbst wenn dann ein Auto gewinnt, nervt es mich persönlich massiv, nicht beiden Fahrzeugcrews und Fahrern die gleiche Möglichkeit gegeben zu haben, um den Sieg zu kämpfen. Ein Fahrer kommt nicht oft im Leben in die Situation, in Le Mans in einem siegfähigen Auto zu sitzen. Und wenn wir ihnen diese Chance vermasseln, dann tut mir das weh. So hat ein völlig unerwarteter Wasserpumpendefekt Mark Webber 2016 um seine letzte Chance auf den Le-Mans-Sieg gebracht; und in diesem Jahr tat es mir wahnsinnig leid für André Lotterer, der zu uns gekommen war, um mit Porsche in Le Mans zu gewinnen. Das war für ihn in diesem Projekt leider auch die einzige und letzte Chance. Mir ist egal, welche unserer Fahrer gewinnen. Aber wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit geben, es herauszufahren, dann bitte ich sie mehr als einmal um Entschuldigung.“
Wenn Sie das ganze Programm noch einmal von null aufzusetzen hätten: Wie viel Prozent oder was würden Sie anders machen?
FE: „Wenn ich mir anschaue, was wir erreicht haben, sollte ich besser nicht zu viel ändern. Gerade in den zurückliegenden drei Jahren haben wir mit drei Le-Mans-Siegen und sechs WM-Titeln das Maximum herausgeholt.“AS: „Fritz hat mir viel von der Freiheit weitergegeben, die er von oben hatte. Dadurch konnte ich alle Strukturen so aufsetzen, wie ich es für richtig hielt. Erfolg in solch einem komplexen Projekt ist das Ergebnis täglicher, harter Arbeit und kann nur als Team gestemmt werden. Die Mannschaft wurde ein guter Mix aus langjährigen Porsche-Mitarbeitern und Spezialisten von außen, die ganz unterschiedliche Erfahrungen aus verschiedenen Rennserien mitbrachten. Ganz wichtig war die starke Besetzung der Schlüsselfiguren direkt unter mir, auf die ich mich auch in den kritischsten Situationen absolut verlassen konnte. Wenn man zurückschaut, haben wir von der Grundausrichtung nicht zu viel falsch gemacht. Aber in einem solchen Projekt ist niemals alles perfekt, und ich würde an vielen Details weiter arbeiten.“
Welche ist die wichtigste Lehre für zukünftige Porsche-Programme?
FE: „Dass der Erfolg eines solchen Projektes ausschließlich von den Menschen abhängt. Die Voraussetzungen wie Infrastruktur und Budget zu schaffen, das war meine Aufgabe. Aber die Umsetzung, das Entstehen von Zusammenhalt und die Leidenschaft dafür, dass jeder in seinem Bereich immer noch besser werden will, das liegt bei jedem einzelnen Teammitglied und zwar in vielen Abteilungen und Disziplinen: Ob Einkauf und Personalabteilung, Marketing, Presse, Physiotherapie oder Catering. Wir haben eine tolle Mannschaft aufgebaut und jedem die Freiheit gegeben, die er brauchte und Vertrauen entgegengebracht.“AS: „Es ist wichtig, dass man sich bei großen Motorsportprojekten von Anfang an mit dem Top-Management einig ist, dass man entsprechende Voraussetzungen braucht, wenn man Erfolg haben will. Die haben wir gehabt. Budget, Struktur, Mut, Rückendeckung. Das gemeinsame Ziel muss klar sein, und man muss auch wieder aufstehen, wenn man mal am Boden liegt. Man darf nicht viele Kompromisse eingehen. Der Wettbewerb ist hart.“