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24h Nürburgring
26.09.2020

In Schräglage über die Nürburgring-Nordschleife

Rund 100 Fahrzeuge, unter anderem von zahlreichen Porsche-Kundenteams, starten heute beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Die riesige Fan-Gemeinde an der Nordschleife fehlt allerdings. Der Langstreckenklassiker muss aufgrund der Coronavirus-Pandemie ohne die legendären Zuschauermassen in der Eifel ausgetragen werden. Nur wenige Besucher dürfen auf den Tribünen an der Grand-Prix-Strecke Platz nehmen. Keine große Party mit Bier und Gesang in den Wäldern, kein Feuerwerk, kein Grillgeruch und Lagerfeuerqualm an der spektakulären Strecke. Wenn doch ein wenig Jahrmarktstimmung aufkommt, dann liegt dies am berühmten Caracciola-Karussell: Die legendäre Steilkurve bei Kilometer 13 der „grünen Hölle“ stellt für Fahrer und Fahrzeug eine besondere Herausforderung dar.

„Das Karussell ist sehr berühmt, aber bei uns Fahrern längst nicht so beliebt wie andere Streckenabschnitte – auch wenn es so eine Kurve auf keiner anderen Rennstrecke dieser Welt gibt“, verrät Porsche Markenbotschafter Timo Bernhard zur äußerst langsamen und im wahrsten Sinne schrägen Passage. Der fünfmalige Gesamtsieger des 24-Stunden-Rennens, der in diesem Jahr kurzfristig ins Fahreraufgebot von KCMG gerückt ist, ergänzt: „Du fällst mit dem Auto quasi in die Steilkurve hinein, landest plötzlich auf Betonplatten und springst am Ende der Kurve regelrecht wieder hinaus. An dieser Stelle – und das ist wirklich tückisch – kannst du nicht viel Zeit gewinnen, aber alles verlieren.“ Nach langen Highspeed-Abschnitten und bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 190 km/h über die gesamte Runde stellt das Karussell einen drastischen Rhythmuswechsel dar. „Viele übertreiben es dort und zahlen dann den Preis“, warnt Bernhard. 

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„Wer denkt, dass im Karussell alles ganz einfach geht, der täuscht sich gewaltig“, betont auch Porsche-Werksfahrer Kévin Estre. „Auch ich musste zuerst lernen, wie es dort am schnellsten und sichersten hindurchgeht. Nominell ist die 180-Grad-Kurve extrem eng und somit langsam. Aber das Banking sorgt dafür, dass es um 30 oder sogar 40 km/h schneller geht als wenn es flach wäre – das ist enorm“, erläutert der 31-jährige amtierende Langstrecken-Weltmeister. Nach einer schnellen Rechtskurve an der sogenannten Steilstrecke wird der Porsche 911 GT3 R vor dem Karussell extrem abgebremst. Der im Jahr 1932 betonierte Kreisel verträgt im zweiten Gang rund 95 km/h. Dabei wirkt eine Querbeschleunigung von 2,0 g, bevor sich die Nordschleife weiter in Richtung Hohe Acht hinauf schlängelt.

„Es gibt dort unterschiedliche Linien und verschiedene Herangehensweisen. Ich bevorzuge eine – das muss ich zugeben – manchmal etwas riskantere Art: Ich lenke möglichst spät in die Kurve ein und jage möglichst früh wieder über die starke Kante hinaus“, lacht Estre, der 2019 von sich reden machte, als er einen Konkurrenten mit mehr als 200 km/h über den Grasstreifen am Streckenabschnitt „Döttinger Höhe“ überholte. „Das Karussell ist wirklich etwas Spezielles. Die Übergänge zwischen den Betonplatten sind alles andere als eben. Auto und Fahrer werden extrem durchgeschüttelt – wie im Karussell auf dem Jahrmarkt. Es ist dann wirklich schwierig, eine konstante Gaspedalstellung zu halten. Das Auto springt, versetzt seitlich und schlägt ab und zu mit der Bodenplatte auf.“

Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten der Nordschleife verlangen die über 500 PS starken GT-Renner aus Weissach nach einer anderen Abstimmung als auf normalen Rundkursen. Die Sprungkuppen, die hohen Randsteine und das Karussell erfordern eine größere Bodenfreiheit. „Wir fahren auf der Nordschleife immer mit einer Mindest-Bodenfreiheit von 70 Millimetern“, erklärt Sebastian Golz, Projektleiter Porsche 911 GT3 R. „Das Karussell erfordert dies, Kuppen wie am Streckenabschnitt Flugplatz aber auch. Das Fahrzeug setzt auf den Betonplatten zwar leicht auf, aber es gibt dadurch kaum Beschädigungen am Unterboden. Viel entscheidender ist die Ausfahrt aus dem Karussell, denn dort wirken je nach Fahrlinie erhebliche Kräfte.“ 

Die Piloten wollen sich instinktiv nur möglichst kurz auf der „Rüttelpiste“ aufhalten. Die Konsequenz: ein wenig rücksichtsvoller Umgang mit dem Auto am Kurvenausgang. „Ich gebe zu, dass ich ein Fan vom frühen Herausspringen bin“, sagt Estre. „Das spart Zeit, belastet aber das Material. Deshalb fahre ich diese Linie fast nur im Qualifying. Im Rennen über 24 Stunden wären die Belastungen für die Antriebsteile womöglich zu hoch.“ Dabei treibt den Technikern nicht das Aufsetzen des Fahrzeuges auf der Außenkante des Karussells die Sorgenfalten auf die Stirn: „Wenn das Auto beim Herausspringen kurz die Bodenhaftung verliert und bei voller Beschleunigung im zweiten Gang wieder auf den Rädern landet und plötzlich wieder Grip da ist, dann liegt an den Antriebswellen ein sehr hohes Drehmoment an – das geht erheblich auf das Material“, schildert Golz. Der erfahrene Ingenieur fügt an: „Findet so etwas beispielsweise beim Sprung am Flugplatz bei deutlich mehr Tempo und in einem höheren Gang statt, ist das nicht schlimm. Im Karussell allerdings schon.“

Der Vergleich mit einem Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt passt aus Sicht vieler Fahrer sehr – vor allem, wenn es um die kleinen Tricks beim Durchfahren des Karussells auf der Nordschleife geht. „Am besten bleibt der linke Vorderreifen ganz innen auf dem kleinen Asphaltband. Dadurch hakt sich das Auto sozusagen ein, es entsteht eine automatische Rotation. Das ist wie ein Haltebügel im Fahrgeschäft und der Trick“, lacht Timo Bernhard. Kévin Estre ergänzt: „Wenn das nicht gelingt und das Auto dort auch nur einen Hauch zu schnell ist, dann fliegt es nach außen aus der Steilkurve heraus und knallt ganz schnell in die dortigen Leitplanken. Das ist schon so einigen Fahrern passiert, die im Karussell zu übermütig waren.“