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Tourenwagen Allgemein
13.11.2020

Vor 30 Jahren gewinnt Roland Asch erstmals mit Renn-ABS

Mit einem technisch außergewöhnlichen 190 E 2.5-16 Evolution II Renntourenwagen überrascht die Werksabteilung Mercedes-Benz st – sport technik am 18. November 1990 bei einem Einladungsrennen der DTM in Kyalami, Südafrika, die Konkurrenz. Dieser EVO II ist als Werkstestwagen erstmals in einem Wettbewerb mit dem von Mercedes-Benz und Bosch gemeinsam entwickelten speziellen Antiblockiersystem (ABS) für den Rennsport ausgerüstet. Roland Asch gewinnt gegen starke Gegner den zweiten Lauf und die Gesamtwertung an diesem Rennsonntag, der allerdings nicht zur Meisterschaftswertung der DTM zählt. Das Fahrzeug gehört heute zur Sammlung von Mercedes-Benz Classic. ABS hält das Fahrzeug bei einer Vollbremsung lenkfähig. In Serienfahrzeugen ist das System seit vielen Jahren ein wichtiger Sicherheitsstandard. Im Rennsport wird es fallweise eingesetzt. Schon lange bieten Mercedes-AMG GT3 und GT4 ein für die Rennstrecke konzipiertes, regelbares Antiblockiersystem.

Versuchsträger M7: Der 190 E 2.5-16 Evolution II heißt intern M7. Er wird speziell für dieses Rennen von Mercedes-Benz st – sport technik vorbereitet. „Mithilfe eines damals sehr seltenen Klimaprüfstands haben wir den Motor auf seinen Einsatz in einer Höhe von 2.000 Metern über dem Meeresspiegel vorbereitet“, erinnert sich der frühere Projektleiter Gerhard Lepler. Der eigentliche Clou jedoch ist eine elektronische Bremsregelanlage. „Von Bosch stammt ein damals neues, programmierbares Steuergerät für die S-Klasse der Baureihe 126“, erklärt Gerhard Lepler die Grundlage des Renn-ABS. „Dieses Gerät macht sogar eine Fahrwerksbeeinflussung möglich, somit handelt es sich um einen Vorläufer des Elektronischen Stabilitäts-Programms ESP®.“
Realitätsnahe Erprobung: Roland Asch, der in jenen Jahren nahezu alle Tests für die DTM-Entwicklung von Mercedes-Benz fährt, ist von diesem Renn-ABS begeistert. „Dass der Wagen damit ausgerüstet war, hielten wir in Kyalami zunächst geheim“, sagt der Rennfahrer aus Ammerbuch. „Als mich andere Fahrer auf einen Knopf am Lenkrad ansprachen, der dem Ein- und Ausschalten des ABS diente, habe ich denen irgendetwas von einer Bremsverstellung erzählt.“ Noch heute schmunzelt er über die Reaktionen der Konkurrenz auf der Strecke: „Der Klaus Ludwig hat vielleicht geschaut, als ich ihn locker ausgebremst habe!“

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„Secret Car“: Das Rennen „Yellow Pages 200“ in Kyalami über eine Distanz von knapp 200 Kilometern bereitet Mercedes-Benz sehr gut vor. Geplant ist der Schiffstransport nach Südafrika. Für jeden Wagen ist samt Ersatzteilen ein Container vorgesehen. Kalkuliert wird mit Transportgewichten von 1.060 Kilogramm für den Renntourenwagen und 220 Kilogramm für Teile ‒ von der Ersatzkupplung bis zu Putztüchern mit Mercedes-Stern. Doch beim geplanten Verschiffungstermin sind die Fahrzeugvorbereitungen noch nicht abgeschlossen. „Ich wollte den Einsatz schon absagen“, schaut Diplom-Ingenieur Lepler zurück. Doch der Chef von AMG of South Africa, Reinhard A. Schulz, will davon nichts wissen und organisiert einen Lufttransport samt dazugehöriger Bezahlung. Eine Boeing 747 SP der Namib Air fliegt die kleine Werksmannschaft samt Auto und Teilen von Frankfurt/Main nach Südafrika.

Spannung in der Öffentlichkeit: AMG of South Africa nutzt die verspätete Ankunft als PR-Coup. Schulz spielt den lokalen Medien die Nachricht von einem „Secret Car“ zu, einem geheimen Nachzügler. Die greifen das Thema dankbar auf und berichten in den Tagen vor dem Rennen immer wieder von einem ganz speziellen Werkseinsatz. Vor Ort wird deutlich, wer den Transport im Jumbo bezahlt: der Zigarettenhersteller Camel. Der Mercedes-Benz wird innerhalb von drei Tagen mit einer entsprechenden gelben Folie inklusive Schriftzügen beklebt. Fahrzeugfolierungen sind damals noch kaum verbreitet. Selbst Asch ist über die neue Farbgebung des M7 verblüfft: „Ich habe mein Fahrzeug zunächst gar nicht wiedererkannt.“ Der M7 wird später in einen Werbeträger für die Bewerbungskampagne der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2000 in Berlin umgewandelt. Als dann Sydney im September 1993 den Zuschlag erhält, veranlasst Gerhard Lepler im Folgejahr, dass dieses Fahrzeug wieder in Camel-Farben auftritt und in die Sammlung von Mercedes-Benz Classic überführt wird. „Ich freue mich riesig, wenn ich gerade diesen Mercedes-Benz bei Demonstrationsfahrten oder historischen Veranstaltungen fahren darf“, sagt Asch drei Jahrzehnte nach seinem Start in Südafrika.

Das Rennen: In den Boxen müssen vier weitere von AMG gemeldete Mercedes-Benz zusammenrücken, damit der Werksnachzügler Platz findet. Roland Asch, DTM-Vizemeister von 1988 und 1993, stellt das „Camel-Auto“ dann auch prompt auf Startplatz eins. „Ich kann immer noch nicht glauben, wie spät man mit dem Renn-ABS bremsen kann“, erklärt er dem Team nach dem Training. Am Renntag ist Kyalami ausverkauft, 42.000 Zuschauer säumen die Rennstrecke. Roelof Frederik „Pik“ Botha, Südafrikas Außenminister, schüttelt allen Fahrern vor dem Start die Hand. Die beiden Läufe werden im Fernsehen live übertragen, abwechselnd kommentiert in Englisch und Afrikaans. Asch fällt nach dem Start zu Lauf eins zunächst hinter seine AMG-Kollegen Klaus Ludwig und Fritz Kreutzpointner zurück, wird aber noch Zweiter hinter Ludwig. Den zweiten Lauf sowie die Gesamtwertung gewinnt er vor Ludwig und jubelt über die Vorzüge des Renn-ABS: „Ich kann mich voll aufs Fahren konzentrieren und erst in letzter Sekunde bremsen.“ Die werksinterne Abteilung st – sport technik von Gerhard Lepler wird zum Jahresende 1990 aufgelöst. AMG übernimmt ab der Saison 1991 die gesamte Entwicklung der DTM-Renntourenwagen von Mercedes-Benz.

Erste Probe: Von 1978 an bietet Mercedes-Benz das Antiblockiersystem für die S-Klasse der Baureihe W 116 an. Auf der Rennstrecke setzt die Stuttgarter Marke das ABS erstmals bei der Eröffnung des neuen Nürburgrings am 12. Mai 1984 ein: 20 identische und weitgehend serienmäßige Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 treten beim „Rennen der Nürburgring-Champions“ gegeneinander an. Grand-Prix-Piloten, ehemalige Sieger des 1.000-Kilometer-Rennens auf dem Nürburgring und einige Nachwuchsfahrer kämpfen auf regennasser Piste um den Sieg. Es gewinnt der damals noch weitgehend unbekannte Ayrton Senna, später dann Formel-1-Weltmeister der Jahre 1988, 1990 und 1991. Bei Testrunden mit dem „Baby-Benz“ ist er zunächst erschrocken: „Die Bremse ist kaputt.“ Dem ist nicht so. Den Brasilianer irritiert vielmehr das pulsierende Bremspedal, wenn das ABS arbeitet. Gerhard Lepler, verantwortlich für den Einsatz der 20 sportlichen Mercedes-Benz, beruhigt den Fahrer mit den Worten: „Alles ist in Ordnung. Bleibe einfach fest auf dem Pedal.“ Niki Lauda, der Weltmeister von 1975, 1977 und auch 1984 wird auf dem Nürburgring Zweiter hinter Senna. Seine Meinung: „Das ABS ist die beste Erfindung seit der Erfindung des Rades.“ Lepler ist freilich mit diesem ABS noch nicht ganz zufrieden. Abgesehen vom Pulsieren im Bremspedal stört eine abrupt nachlassende Wirkung auf Bodenwellen. Hintergrund: Die Sensoren registrieren, dass die Räder keine Haftung haben, und signalisieren der Steuereinheit Reibungsverluste wie auf Glatteis. Daraufhin wird der Bremsdruck drastisch reduziert – und anschließend für den Renneinsatz zu langsam wieder aufgebaut. Testfahrer Asch beschreibt die Situation so: „Wenn auf der Nürburgring-Nordschleife ein oder mehrere Räder in der Luft waren, hat das ABS den Bremsdruck verringert, ich konnte zunächst gar nicht mehr verzögern. Manchmal habe ich richtig Angst bekommen.“

Frühe Evolution: Erst das gemeinsam mit Bosch entwickelte Steuergerät löst das Problem. Das Pulsieren des Bremspedals beim ABS-Eingriff und das plötzliche Nachlassen der Bremswirkung auf Bodenwellen werden unterbunden. In den Rennjahren der DTM/ITC von 1991 bis 1996 rüstet Mercedes-Benz seine Renntourenwagen mit ABS aus. Auch die Formel 1 setzt für einige Jahre auf eine ABS-Bremsunterstützung. Doch in den Topklassen des Motorsports wird ABS verboten, um das Können der Fahrer mehr in den Vordergrund zu rücken. In den Kategorien GT3 und GT4 vieler nationaler und internationaler Meisterschaften ist das anders. Im Jahr 2020 beschreibt AMG seine Modelle Mercedes-AMG GT3 und GT4 unter dem Stichpunkt „Fahrhilfen“ mit den Worten: „Das neu entwickelte ABS-System ist vielfach einstellbar und optimal auf die Spezifikationen der aktuellen Reifengeneration abgestimmt.“