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Rallye Allgemein
08.11.2021

Härtetest für den Ford Fiesta Rallye 2 mit Steer-by-Wire und Armin Schwarz

Der Ford Fiesta Rallye2 mit Space Drive, pilotiert von Rallye-Routinier Armin Schwarz, fuhr erfolgreich seine zweite Lausitzrallye und brachte den Ingenieuren der Schaeffler Paravan Technologie GmbH & Co. KG viele wertvolle Erkenntnisse für die weitere Entwicklung und Feinabstimmung des Steer-by-Wire Systems. Der Rallye Bolide, der ganz ohne mechanische Verbindung zwischen Lenkeinheit und Lenkgetriebe auskommt, war als Vorfahrzeug – im vollen Renntempo – im Einsatz und absolvierte alle zwölf Wertungsprüfungen mit Bravour. Außerhalb der Wertung gestartet, wäre Armin Schwarz am Ende auf einem theoretischen vierten Platz gefahren. Regen an den Vortagen sorgte für einige feuchte Überraschungen und machte die Rallye zu einer besonderen Challenge für den Fahrer und das Space Drive-System; große Wasserpfützen und ausgewaschene Spurrillen waren eine echte Herausforderung.

Insgesamt 12 Wertungsprüfungen waren an den zwei Tagen zu bewältigen – von relativ ähnlicher Charakteristik. Die Strecken führten durch den stillgelegten Braunkohle-Tagebau um Boxberg herum. „Die Prüfungen sind alle sehr schnell“, sagt Armin Schwarz. Die Teilnehmer fahren in allen Wertungen zu 94 Prozent auf Schotteruntergrund im Top-Speed, enge Kurvenabzweige, mit sehr schnellen langgezogenen Kurven und großen Gripunterschieden oder in den Wald rein, wo es wiederum teilweise sehr glatt war. Auch richtig große Sprünge waren dabei. „Eine Rallye, die sehr herausfordernd ist“, sagt Schwarz und ideal, um neue Technologien an ihre Grenzen zu führen. Eine Besonderheit ist die Strecke der Arena, die über einen rekultivierten Teil des Tagebaus führt. Da sie insgesamt vier Mal passiert wird, war sie am Ende extrem ausgefahren.

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Besonders am Freitag waren die Streckenverhältnisse durch den komplett verregneten Vortag deutlich anspruchsvoller als in den trockenen Vorjahren. Insbesondere stehendes Wasser und ausgefahrene Spurrillen machten den Fahrzeugen das Leben schwer. Positiver Nebeneffekt: Staubentwicklung war in diesem Jahr kein Thema. Fuhr das Fahrzeug von Armin Schwarz den ersten Teil der Wertungsprüfungen noch auf eher unversehrter Strecke mit wenig Grip, änderte sich das bei den Wiederholungsprüfungen deutlich. Tiefe Furchen und Löcher, teilweise wie auf Schienen waren dann zu bewältigen. Doch Schwarz kam mit seinem Co-Piloten Pascal Raabe gut durch alle Prüfungen.

Die Space Drive Experten erhielten dadurch wertvolle Vergleichsdaten, mit ganz unterschiedlichen Streckencharakteristiken an ein und demselben Kurs. „Es war extrem nass und schmierig, für mich wie Rallye sein muss, also Wechselbeläge, schwierig zu fahren,“ sagt Armin Schwarz, „auch schwierige Gripverhältnisse, aber genau richtig für uns, weil uns das System deutlich gezeigt hat, wir sind in allen Bereichen besser geworden. Vor allem mit Blick auf die Rückmeldung ans Lenkrad ist mit der neuen Software ein großer Schritt gemacht worden, was mir deutlich mehr Informationen bei den schwierigen Belagwechseln gab.“ Der Samstag wartete dann mit deutlich besserem Wetter auf, auch wenn teilweise noch das Wasser auf den Strecken stand. Acht weitere Wertungsprüfungen waren zu absolvieren.

Der Samstag wartete dann mit deutlich besserem Wetter auf, auch wenn teilweise noch das Wasser auf den Strecken stand. Acht weitere Wertungsprüfungen waren zu absolvieren. Selbst 50 Meter lange Wasserlachen standen bei den in der ersten Wertungsprüfungen am Samstag noch auf der Strecke, stellten aber für den Space Drive Ford Fiesta kein Problem dar. Eigentlich ist Aquaplaning immer eine besondere Herausforderung für den Fahrer. „Das ist wie surfen, schön am Gas bleiben und wissen wohin die Räder zeigen“, berichtet der Rallye-Profi. Doch Das Space Drive System kann diese Gripunterschiede zum großen Teil ausblenden. „Wir spüren kaum Gripunterschiede mehr in der Lenkung. Ich erhalte über die Lenkeinheit alle Informationen, die ich benötige. Ich bin 25 Jahre dem Trugschluss aufgesessen, dass das Lenkrad sehr wichtig ist für Informationen über Gripverhältnisse, die du nur auf der Vorderachse hast, dem ist gar nicht so. Wir können alle Informationen zurückspielen und parametrisieren. Ich kann so viel genauer lenken als mit einer herkömmlichen Lenkung.“

Die Nachmittagsschleife – bestehend aus zwei Durchgängen der Prüfungen „Reichwalde“ (mit 20,79 Kilometern die längste Prüfung der Lausitz-Rallye) und „Bärwalder See“ – waren mit einer etwas anderen Charakteristik sehr speziell. Die letztere beispielsweise führte zu 30 Prozent über einen Radweg um den See, mit ständig wechselnden Belegen, da es von da aus immer wieder in den Wald geht. „Der Wechselbelag war hier der große Anspruch“, erläutert Arnim Schwarz. Am Ende wäre er mit seinem Ford Fiesta Rallye2 auf Platz vier angekommen. „Wir können hier im Feld durchaus mithalten, und dabei von einer Zukunftstechnologie profitieren, die später für das autonome Fahren entscheidend sein wird.“

Der Erkenntnisgewinn bei einer Rallye ist für die Techniker enorm. Die Servicepausen zwischen den Wertungsprüfungen verschaffen immer wieder Zeit für einen System-Check und für Anpassungen auf die Streckenverhältnisse. Besonders die Belastungsspitzen – weite Sprünge, tiefe Spurrillen und große Unebenheiten – sind interessant für die weitere Entwicklung. „Die Rallye ist eine besondere Herausforderung für Material und System. Wir erhalten hier eine sehr umfassende Datengrundlage, die sich von den Belastungen der Rundstrecke deutlich abhebt und auf den Verbindungsstrecken auch den Bedingungen auf der Straße ähnlich ist“, sagt Klaus Graf, Mitglied der Geschäftsleitung der Schaeffler Paravan und verantwortlich für das Testing. Das Rallyeauto benötigt neben der Zulassung vom Deutschen Motor Sport Bund (DMSB), auch eine Straßenzulassung. Beides hat der Schaeffler Paravan Technologieträger. Die Strecke führte über knapp 366 Kilometer, mit 168,74 Kilometer Wertungsdistanz. „Wir entwickeln von der Rennstrecke auf die Straße und die Rallye ist ein ganz entscheidender Entwicklungsbaustein in diesem Konzept.“

Für Rallye-Profi Armin Schwarz ist die Entwicklung im Motorsport ein entscheidender Faktor, wenn es um die Erprobung neuer Technologien geht. „Ich finde es gut, wenn der Rallyesport wieder Techniklieferant ist, der die Zukunft weist. Das Space Drive System ist etwas Neues, was auch die Hersteller ganz interessiert beobachten. Ich habe zwei, drei Fahrer ins Lenkrad greifen lassen, wie sich das anfühlt. Die konnten das gar nicht glauben, haben immer geguckt, wo die Lenksäule ist. Weil es sich so anfühlte, wie in ihrem Auto nur mit Lenksäule.“
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