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Formel 1
10.11.2010

Entwicklungsrennen geht bei Renault F1 in die nächste Runde

Die Stadtrennstrecke von Abu Dhabi hat mich bei ihrem Debüt in der vergangenen Saison sehr fasziniert, auch auf den Fernsehbildschirmen sieht die Anlage mit ihrem farbenfroh angestrahlten Hotelkomplex toll aus – die Veranstalter haben offensichtlich viel Mühe und viel Geld in die Ausgestaltung dieses einzigartigen Kurses gesteckt. Als ich den gut 5,5 Kilometer langen Yas Marina Circuit im Vorjahr erstmals zu Fuß umrundet habe, war ich mir sicher, dass er viele Überholmöglichkeiten bieten würde. Tatsächlich aber verlief der Grand Prix dann viel unspektakulärer, als ich dies gedacht hatte.

Ein großes Angebot an üppig bemessenen Auslaufzonen allein macht das Passieren eines Kontrahenten noch nicht einfacher, denn der Vorausfahrende kann seine Position leichter verteidigen – wenn er seinen Bremspunkt verpasst, kürzt er einfach über die Kurveninnenseite ab und bleibt trotzdem vorn. Das geht zwar nicht in jeder Runde, doch wenn an diesen Stellen Mauern, Kiesbetten oder Leitplanken die Strecke begrenzen würden, dann hätten solche Fehler Folgen und der Angreifer eine Chance zum Überholen. Anders herum funktioniert es allerdings auch: Wer beim Versuch, seinen Vordermann zu kassieren, zu spät bremst oder es schlicht übertreibt, findet immer einen Rettungsweg zurück auf die Strecke. Mit anderen Worten: Er kann höhere Risiken eingehen, ohne bestraft zu werden.

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Auch die verschiedenen nach außen hängenden Kurven wie etwa die Turns 16 und 17 gefallen mir nicht so gut – in diesen Passagen ist es für uns sehr verlockend, zu früh aufs Gas zu gehen und dann die Traktion zu verlieren. Die Folge ist ein Übersteuern: Das Heck des Fahrzeugs bricht aus und du verlierst viel Zeit. Diese Strecke hat es also durchaus in sich.

Da das Rennen am frühen Abend startet, müssen wir die Visiere unsere Helme modifizieren, um auch bei Nacht noch genügend zu sehen. Eine andere Sache, die mir im Vorjahr aufgefallen ist: Alle drei Freien Trainingssitzungen finden bei Tageslicht statt, nur das Qualifying und der Grand Prix selbst gehen bei Dunkelheit über die Bühne. Das bringt einige Probleme mit sich, da mit dem dann abkühlenden Asphalt auch die Reifentemperaturen in den Keller gehen können – was sich massiv auf das Fahrverhalten und die Balance unserer Formel 1-Autos auswirkt. Mit den Erfahrungen, die wir in der vergangenen Saison hiermit gesammelt haben, sind wir jetzt auf diese Besonderheit vorbereitet.
Auch wenn der Große Preis von Abu Dhabi das Finalrennen 2010 ist, so können wir nach der Zieldurchfahrt noch nicht in den Urlaub aufbrechen – direkt im Anschluss finden die ersten Testfahrten mit den neuen Formel 1-Pneus von Pirelli statt, im Hinblick auf die Vorbereitungen für 2011 ein für uns sehr wichtiger Termin.

„Ich glaube, wir haben nie zuvor mit einer solch hohen Schlagzahl in der Weiterentwicklung gearbeitet wie dieses Jahr“, bekennt James Allison, der Technische Direktor des Renault F1 Teams. „Ich weiß nicht, ob die Zahl unserer Neuerungen die höchste aller Zeiten ist. Aber der durchschnittliche Zeitgewinn über eine Runde vom ersten bis zum letzten Rennen der Saison war nachweislich noch nie so groß.“

In Zahlen ausgedrückt: Der Renault R30, der am kommenden Wochenende in Abu Dhabi an den Start gehen wird, ist rund zwei Sekunden pro Runde schneller als die Version, mit der das Team im März in Bahrain die Saison begann. Diese Zahl verdeutlicht, wie atemlos das Renault F1 Team die Weiterentwicklung vorantreiben musste, um seine Position innerhalb des Feldes verteidigen zu können.

Aber wie lassen sich zwei Sekunden mit einem Auto finden, das schon in seiner ersten Ausbaustufe sehr ausgereift war? Zwei Technik-Highlights, die dieses Jahr Schlagzeilen machten, waren sicherlich der angeblasene Diffusor und der F-Schacht – Neuerungen, die auch alle anderen führenden Teams innerhalb der Saison einführten. Darüber hinaus rückte der Renault R30 mit zehn verschiedenen Frontflügel-Konstellationen, fünf Unterböden, zwei Motorverkleidungen, sechs Heckflügel-Versionen, sieben Ausführungen der vorderen sowie drei Varianten der hinteren Bremskühlung und Luftführung aus. Wobei diese Aufzählung nur die größeren Upgrades berücksichtigt …

„Das Ziel lautet immer, die Performance des Autos so weit zu steigern wie nur möglich. Und das erfordert, bei jedem Rennen mit weiterentwickelten Teilen anzutreten“, fährt James Allison fort. „Besonders stolz bin ich darauf, wie die vielen Mitarbeiter unserer Chassis-Abteilung in Enstone zusammengehalten haben – vom Konstruktionsbüro bis zu den Jungs in der Fertigung – damit wir unser Auto so schnell wie möglich weiter voranbringen.“

Wenn der Technische Direktor eine einzelne Entwicklung hervorheben soll, wählt er ohne zu zögern den F-Schacht, der am Renault R30 ab dem Großen Preis von Belgien eingesetzt wurde. „Wir gehörten zwar nicht zu den ersten, die diese Neuerungen einführten, aber wir sind stolz darauf, dass er bei uns vom ersten Training an gut funktionierte“, betont Allison. „Außerdem zeigten wir den ersten F-Schacht, der den erwünschten Strömungsabriss nicht bloß am oberen Flap, sondern am Hauptblatt des Heckflügels ermöglichte. Dieses Layout senkte den Luftwiderstand auf den Geraden stärker als die Lösungen der gegnerischen Teams. In Spa brachte uns der F-Schacht beispielsweise einen Gewinn von mehr als einer halben Sekunde pro Runde.“

Der massive Zeitgewinn des F-Schachts ist unbestritten – ebenso wie die Tatsache, dass ein immenser Aufwand nötig war, um diesen Luftkanal in das fertige Auto zu integrieren. „Das stellte unsere Konstruktions-Ingenieure vor eine echte Herausforderung“, erinnert sich James Allison. „Das sogenannte Packaging, also der sinnvolle Einbau ins Auto, war natürlich sehr aufwendig, da der Renault R30 ohne dieses Hilfsmittel geplant worden war. Es leuchtet ein, dass wir für dieses Projekt sehr viel Aufwand betrieben haben.“

Und da eine atemlose Hatz durch die Saison nach der anderen folgt, endet das Entwicklungs-Wettrennen nicht in Abu Dhabi. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich nur vollständig auf das nächstjährige Auto. Auch weil einige wesentliche Reglementsänderungen anstehen, erwartet der Technische Direktor 2011 einen mindestens so intensiven „Dauerlauf“ durch die Saison: „Die größten Herausforderungen für alle Teams sind das Verbot des doppelten Diffusors, die Rückkehr der Energie-Rückgewinnung KERS und der Umstieg auf Pirelli-Reifen. Wir richten uns auf einen nicht minder gnadenlosen Entwicklungs-Wettkampf ein wie dieses Jahr. Und wir hoffen darauf, dass wir auch 2011 unseren Weg zurück an die Spitze des Feldes fortsetzen werden.“

Aufgrund der gesetzlichen Regelungen in Abu Dhabi, die Werbung für alkoholische Getränke untersagen, verzichtet das Renault F1 Team beim Saisonfinale auf die Schriftzüge von Flagman Wodka. Stattdessen tragen beide Renault R30 am kommenden Wochenende das Branding der Bank of Moscow, der Holding-Gesellschaft von Flagman.

In der Woche nach dem Grand Prix findet an gleicher Stelle der von der FIA vorgesehene Young Driver Test statt. Im Renault F1 Team erhalten der Belgier Jérôme D’Ambrosio und der Russe Mikhail Aleshin je einen Tag die Chance, den Renault R30 zu steuern. Aleshin darf als Gesamtsieger der World Series by Renault am Dienstag, den 16. November, testen. D’Ambrosio, der erfolgreichste Pilot des Renault F1 Driver Programms, übernimmt am Mittwoch.