Formel 1
22.06.2012
Technikfeature: Schneller werden durch Spritsparen
„Valencia ähnelt in vielem dem Albert Park Circuit in Melbourne“, sagt Rémi Taffin, der bei Renault Sport F1 für den Einsatz der RS27-V8 an der Stre¬cke verantwortlich ist. „Es gibt dasselbe Wechselspiel zwischen langen Geraden und Kurven, die im ersten, zweiten oder dritten Gang gefahren werden. Das heißt, dass die Autos jedes Mal extrem langsam werden, bevor die Fahrer dann wieder Vollgas geben. Hartes Bremsen und dann wieder voll aufs Gas – dieses pausenlose Schließen und volle Öffnen der Drosselklappen führt zu dem bekannt hohen Spritbedarf in Valencia.“
„Im Schnitt verbrauchen wir 0,5 Kilogramm Benzin pro Kilometer. In Mont¬real – ebenfalls ein spritfressender Kurs – summiert sich das auf etwa 2,15 Kilo pro Runde. In Valencia liegen wir mit rund 2,7 Kilo pro Runde noch einmal deutlich darüber. Das hängt natürlich auch etwas vom Wetter ab – bei nas-ser Strecke wird weniger Leistung abgerufen, das senkt den Ver¬brauch. Aber da es in Valencia meistens – auch an diesem Wochen¬ende – sehr warm und trocken ist, liegen wir am oberen Ende der Verbrauchsskala.“
Wie so oft, spielt die Charakteristik des Motors auch hier in Chassis-Kon-struktion und -Setup hinein. „Jeder weiß, dass wir für Valencia eine größere Menge Kraftstoff brauchen. Gleichzeitig möchten die Teams die Tankzellen so klein wie möglich halten, um das Gesamtpaket zu optimieren. Folglich steht Renault als Motorenpartner in der Pflicht, den Kraftstoffbedarf so weit wie möglich zu senken, damit der Tank kleiner ausfallen kann“, unterstreicht Rémi Taffin.
„Theoretisch könnten wir das Benzin-Luft-Gemisch abmagern, denn je wen-iger Sprit pro Zündvorgang in den Zylinder eingespritzt wird, desto geringer ist der Gesamtverbrauch. So einfach geht es natürlich nicht, denn ein ma-geres Gemisch kostet unweigerlich Leistung. Außerdem gefährdet eine zu starke Abmagerung die Haltbarkeit des Motors. Also müssen wir die optima¬le Balance aus Leistung, Kraftstoffsparen und Zuverlässigkeit finden.“
Wie in so vielen Bereichen der Formel 1 ist also keine Extremlösung, son-dern ein tragfähiger Kompromiss gefragt. Aber wie kann das ausgerechnet auf einem Kurs gelingen, der nach maximaler Power verlangt und maximal Sprit kostet? „Wir machen sehr viele Prüfstandtests, um mehr über die ver-schiedenen Einsatzbedingungen unserer Motoren zu lernen“, erklärt Rémi Taffin. „Es gibt immer Wege, den Kraftstoffbedarf bei voll oder halb geöff-neten Drosselklappen weiter zu senken. Auch beim Bremsen und Herunter-schalten haben wir noch Möglichkeiten, Sprit zu sparen. Bekanntlich erhält der Motor beim Herunterschalten in Bremszonen einen automatischen Zwischengasstoß. In diesem Bereich ließe sich noch etwas Benzin ein-sparen. Genau genommen ist dies sogar der wichtigste Ansatzpunkt: Clevere Abstimmungen könnten auf eine Runde gesehen den Verbrauch um etwa ein Prozent senken – was über eine Renndistanz betrachtet schon 1,5 Kilogramm ausmacht. Wenn man bedenkt, wie eng das Feld in diesem Jahr zusammen liegt, kann das schon einen Unterschied machen.“
Auch Einflussgrößen außerhalb des Antriebsstrangs können sich auf den Spritverbrauch auswirken. „Nach sieben Saisonläufen haben wir eine ziem-lich gute Datensammlung, die den Einfluss von Reifenverschleiß oder DRS-Einsatz erfasst.“ Diese Erfahrungswerte sind umso wichtiger, da im Quali-fying mit frischen, im Rennen naturgemäß meist mit gebrauchten Reifen gefahren wird. Außerdem darf das Drag Reduction System, der bewegliche Hecklflügel, im Qualifying nach Belieben benutzt werden, im Rennen aber nur auf einem vorgegebenen Streckenteil. „Um den Einfluss von DRS mal zu verdeutlichen: Wenn der Heckflügel auf der längsten Geraden in Mont¬real flach gestellt ist, steigt der Verbrauch in so einer Runde um zwei bis drei Prozent an“, verrät der Einsatzleiter von Renault Sport F1.
Aber es wird noch komplexer: „Um über die Renndistanz möglichst schnell zu sein, nutzen wir nicht immer das fetteste Gemisch“, so Taffin. „Wer zum Beispiel in den letzten 20 Rennrunden auf das magerste Setting umstellt, kann beim Start mir rund fünf Kilogramm weniger Sprit losfahren – das macht etwa 0,2 Sekunden pro Runde aus.“
„Auf der anderen Seite haben wir auch die Möglichkeit, mehr Kraftstoff zu verbrennen, als eigentlich nötig wäre. Das ist beispielsweise nach einer Safety Car-Phase oder hinter einem langsameren Gegner sinnvoll. Wenn die Hochrechnungen ergeben, dass wir zuviel Benzin – sprich: Gewicht – für die Restdistanz an Bord haben, versuchen wir, den Überschuss zu verbrennen, bis das jeweilige Auto wieder im geplanten Gewichtsbereich liegt. Die Fahrer haben die Möglichkeit, die überzähligen Kilos sehr schnell zu verbrennen oder sie wechseln am Rennende einfach später bzw. gar nicht in den mageren Modus.“
Diese Entscheidung hängt natürlich stark von der Strategie und der Renn-situation ab. „Du musst wissen, in welcher Phase du am schnellsten fahren willst – nach dem Start, zur Rennmitte oder gegen Ende des Rennens. Das wiederum hängt von der gewählten Strategie und der Position auf der Stre-cke ab, von den Zweikämpfen, die sich ergeben, vom Timing der Boxen-stopps und von den jeweils benutzten Reifen. Dieses Strategie-Puzzle beeinflusst nicht bloß die Wahl der Kraftstoffmenge am Start, sondern auch die Frage, wann und wie dieser Sprit im Rennen genau eingesetzt wird.“
Rémi Taffin fährt fort: „Üblicherweise wird die magerste Gemischoption in der Schlussphase verwendet, denn meist werden die Positionen im ersten Teil des Grand Prix ausgefochten. Oft sieht die Rennstrategie vor, bis zum letzten Boxenstopp so schnell wie möglich zu fahren, um für den Reifen-wechsel in der bestmöglichen Position zu sein. Das setzt voraus: Der Motor sollte maximale Leistung liefern und das Auto so leicht wie möglich sein. In diesem Fall wirst du in der Startphase die fetteste Gemischvariante wählen und erst am Ende in den mageren Modus wechseln.“
Aber in der Formel 1 gibt es keine Strategie ohne Plan B: „Je nachdem, wie sich das Rennen entwickelt, kann es nötig sein, eine Position zu verteidigen und gleichzeitig im mageren Modus zu fahren – was natürlich nicht ideal ist. In diesem Fall könnte ein Fahrer beispielsweise die Gemischanreicherung im Lauf der Runde mehrfach ändern. Also etwa mager in den Kurven und dann fett für maximale Power auf den Geraden. So gesehen, erzielen die Benzin-Settings einen ähnlichen Effekt wie das KERS, wenn es zum Verteidigen einer Position eingesetzt wird.“
In dieser Matrix der Möglichkeiten versuchen die Teams, aus möglichst wenig Kraftstoff möglichst viel herauszuholen und richten die Strategien ent¬sprechend aus. „Die Fahrt von Romain Grosjean in Kanada hat gezeigt, was alles möglich ist“, erinnert Taffin. „Er hat während des gesamten Ren-nens je nach Situation unterschiedliche Einstellungen benutzt, um jeweils so schnell zu fahren, wie es die Strategie erforderte. In seinem Fall setzte das Team von vornherein auf einen starken Schlussspurt – und das hat sich perfekt ausgezahlt.“